Das slowenische Industriestädtchen Velenje beherbergt ein Kohlekraftwerk und den Küchengerätefabrikanten Gorenje. Die sozialistische Modellstadt ist sich treu geblieben.
Die Burg Velenje - eine der am schönsten erhaltenen Burgen in Slowenien. (Foto: Anja Mozina)
Eine sanfte, bewaldete Hügellandschaft, verstreut liegende, von Weiden umgebene Höfe, und im Grund des Salektales Wohnblocks, die sich um einen riesigen Platz gruppieren, breite Strassen, ein riesiges Fabrikgelände und im Hintergrund rauchende Schlote eines Kohlekraftwerkes: Es ist an Kontrasten reicher Ausblick vom Schloss Velenje, dem historischen Wahrzeichen der Kleinstadt Velenje im Norden Sloweniens auf halber Strecke zwischen der Hauptstadt Ljubljana und Maribor. Noch 1950 lebten hier kaum 1‘000 Menschen. Doch dann kam eine strategische Entscheidung der damaligen jugoslawischen Staatsführung unter Josip Broz Tito: Das Land sollte autark sein, sich selber versorgen können und Menschen in selbst verwalteten Betrieben ins Brot setzen. In Velenje gab es einen wertvollen Rohstoff: Kohle, zwar von miserabler Qualität, aber in so reichlichen Mengen (rund 400 Millionen Tonnen, eines der mächtigsten Kohleflöze der Welt), das sich ein Abbau lohnte. Zwar wurde schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts Kohle gefördert, doch die Mengen waren gering. Das sollte sich ändern. Mit dem Ausbau der Kohleförderung wurde ein Kraftwerk zur Stromproduktion gebaut. Es kamen Menschen aus dem ganzen Land nach Velenje, um hier zu arbeiten und zu leben. Eine Stadt musste gebaut werden. Doch es sollte keine der klassischen Bergarbeiterstädte sein, mit ihren niedrigen, dunklen Reihenhäuschen, sondern eine moderne kleine Metropole, mit lichtdurchfluteten Wohnungen, die den rauhen Alltag unter Tage vergessen lassen sollten. Unter der Regie des als Begründer der modernen Stadt in die Geschichte eingegangenen Nestl Zgank entstand in wenigen Jahren rund um den zentralen Tito-Platz eine sozialistische Modellstadt, mit modernen Wohnblocks, einem Kulturzentrum, Geschäften und Verwaltungsgebäuden. „Ich bin in einem dieser Blocks aufgewachsen, in einer kleinen Zweizimmerwohnung“, erzählt Vinko Mihelak. Er ist Historiker und Kurator des Museums im Schloss Velenje. Ein wenig Wehmut legt sich auf seine Stimme, wenn er von damals erzählt, als die ganze Stadt von einer Aufbruchstimmung erfasst war und alles möglich schien. Und auch wenn es mit der propagierten Selbstverwaltung nicht allzuweit her war: Arbeit, Brot und Unterkunft genossen eine Art Staatsgarantie, wie sie heutzutage, unausgesprochen, höchstens noch den grossen Finanzinstituten gewährt wird. Um auch den Frauen eine Arbeit zu ermöglichen, wurde mit der Fertigung von Backöfen begonnen, anfänglich in einer kleinen Manufaktur im Dorf Gorenje, später in stetig wachsenden Fabrikhallen in Velenje. Der Name des Dorfes wurde zur Marke. Gorenje hat, wie das Kohlebergwerk, allen Stürmen des Umbruches im ehemaligen Jugoslawien getrotzt und zählt heute zu den führenden Anbietern von Haushaltgeräten in Europa. 6000 Menschen beschäftigt das Werk. Weitere 2000 sind in den Kohleminen und dem Kohlekraftwerk angestellt. Mihelak hat eine sehenswerte Ausstellung eingerichtet, die an die Tage des Aufbaus der Stadt erinnert: Arbeiter am Werk, Einweihungsfeierlichkeiten, Paraden. Man staunt heute über die Modernität dieser ersten beiden Jahrzehnte der Nachkriegszeit, über die schlichte Schönheit dieser funktionalen Architektur, wie sie im Wohnbaubereich gerade wieder sehr in Mode gekommen ist. In einem rekonstruierten Sitzungszimmer wird die Ära vollends lebendig: Büromobiliar, Telefone, akribisch von Hand gezeichnete Graphiken zum Geschäftsverlauf, das obligate Tito-Bild an der Wand, ein Propagandaspruch, der die Leistungen der Arbeiter belobigt, darüber. Mihelak will nichts beschönigen, er will die Epoche zeigen, wie sie war: geprägt von Aufbaustimmung und Mief zugleich. Im Museum für zeitgenössische slowenische Kunst gleich nebenan lässt sich in einigen der damaligen Werke der Widerspruch dieser Zeit im Rückblick schön herauslesen. Es ist eine der bedeutendsten Sammlungen Sloweniens.
Blick auf Velenje (Foto: Gabisworld.com)
Velenje blieb das Schicksal vieler sozialistischer Modellstädte erspart, die nach dem Zusammenbruch der Einparteienstaaten und der darauf folgenden wirtschaftlichen Misere ihre Existenzgrundlage verloren. Auch deshalb steht die Statue Titos, eine der grössten im ehemaligen Jugoslawien, nach wie vor an ihrem Platz. Gerade wird, nach langen Diskussionen über Sinn und Unsinn der Kohleförderung und – nutzung, ein neues Kraftwerk gebaut, das einen Drittel des Strombedarfes Sloweniens decken wird. Gorenje ist heute im Besitz des chinesischen Elektronikkonzerns Hisense, der damit auch die legende Design-Abteilung übernommen hat. In einer kleinen Ausstellung im Stadtzentrum lässt sich nachvollziehen, wie sehr das Gorenje-Design, von der Gestaltung des Schriftzuges bis zum äusseren Erscheinungsbild eines Küchengerätes, vom Zeitgeist geprägt sind – und doch in der klaren Formensprache eine Linie zeichnet, die sich von den Anfängen bis heute verfolgen lässt. Die aktuellen Modelle bringen diese optische Reduktion auf das Wesentliche auf den buchstäblichen Punkt. Die Ausstellung war Teil des Programmes im europäischen Kulturhauptstadtjahr 2012, das die industrielle Entwicklung aller Partnerstädte zum Thema macht – und darüber hinaus Perspektiven aufzeigen soll. In Velenje zeigen sich diese in Form dreier hübscher Seen. Nichts deutet darauf hin, dass sie künstlicher Natur sind. Als Folge des Kohleabbaus in 300 Metern Tiefe hat sich die Oberfläche nach und nach abgesenkt. Die Idee, die entstehenden Mulden mit Wasser zu füllen und damit ein Naherholungsgebiet zu schaffen, ist bestechend. Doch der Preis ist hoch. Denn nicht nur wertvolles Agrarland, sondern auch ganze Dörfer verschwinden, wie eine Ausstellung im slowenischen Museum des Kohlebergwerkes dokumentiert. Nur noch die Alten könnten sich daran erinnern, wie es in ihren Dörfern einst ausgesehen habe, meint die Kuratorin der Ausstellung nachdenklich. Sie hat Photos und Erinnerungen zusammengetragen, um sie der Nachwelt zu erhalten. Was nach dem Ende des Kulturhauptstadtjahres damit geschieht, weiss sie nicht. Geld für ein Museum sei keines vorhanden. Kultureller Alltag. Nicht nur in Velenje.