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Noch Anfang der 1990er-Jahre waren die Bestände des dinarischen Wolfes in Slowenien auf einen kümmerlichen Rest reduziert. Inzwischen siedeln vor allem im Süden des Landes wieder 14 Rudel. Dank eines effektiven Herdenschutzes halten sich die Schäden an Nutztieren in sehr engen Grenzen. Doch es darf auch gejagt werden.

 
Erstkontakt mit seiner neuen Familie, den Schafen: Zwei Wochen alt ist der Herdenschutzhundwelpe des bosnischen Rasse Tornjak. Die Neugier ist gegenseitig.

Schnuppernd begrüssen die Lämmer den kleinen Hund der bosnischen Rasse Tornjak. Er ist zwei Wochen alt, pummelig wie ein Meerschweinchen. Jetzt schliesst er, noch ganz wacklig auf seinen Beinen, erste Bekanntschaft mit den Tieren, für die er, wenn er zum kräftigen Herdenschutzhund herangewachsen ist, schon bald sein Leben riskieren und es mit Wölfen aufnehmen wird. Ein Lämmchen macht sich einen Spass daraus, ihn etwas gar kräftig anzustupsen. Er fällt hin, rappelt sich wieder auf, fällt wieder hin, bis Aleš Sedmak das voreilige Jungschaf wegschubst. Nun kann das Hündchen schnuppernd nach einer Zitze am Bauch eines der Lämmer suchen.
Die jungen Schafe sind im Stall von den erwachsenen Tieren getrennt untergebracht. Sedmak, in seinem Hauptberuf Ingenieur für die Entwicklung von Solaranlagen, hält zusammen mit seinem Bruder nebenberuflich eine 150-köpfige Schafherde und eine kleine Schar Ziegen. Sie haben sie von ihrem Vater übernommen. Schon der Grossvater war Schafhalter gewesen. Der Hof liegt am Rande des Dorfes Juršče in der Gemeinde Pivka (St. Peter in Krain) in der Region Primorska (Küstenland-Innerkrain) im Südwesten Sloweniens. Triest ist nur eine knappe Autostunde entfernt. Das waldreiche, karstige Hügelland am nördlichen Rand der dinarischen Alpen ist dünn besiedelt. Die Böden erlauben kaum mehr als eine Weidewirtschaft. Die Landwirtschaft ist in jüngerer Zeit zunehmend extensiviert worden, manche Herden sind ganzjährig auf der Weide, etwas Schutz finden sie in offenen Unterständen. Manche Bauern haben auf die Mutterkuhhaltung umgestellt, die Mehrheit bleibt bei Schafen oder Ziegen.


Ales Sedmak: Dank Herdenschutzhunden keine Angst vor dem Wolf.


Bosnische Tornjak-Hunde haben den Herdenschutz in ihren Genen.

«Bären hat es hier schon immer gegeben», sagt Sedmak. «Wer in den Wald geht, muss immer damit rechnen, einem Bären zu begegnen. Bär und Mensch kommen damit gut zurecht. Auch unsere Schafe haben kaum etwas zu befürchten». Mit den Wölfen, die sich seit einigen Jahren stark ausbreiteten, sei das anders. «Es ist in den vergangenen Jahren zu einigen Attacken auf Schafherden gekommen, Dutzende Schafe sind gerissen worden.» Sedmak entschied sich zum Schutz vor den Wölfen für Herdenschutzhunde. In Bosnien kaufte er ein zweijähriges Tornjak-Weibchen. Seither züchtet er die Hunde selbst, die Welpen verkauft er im Alter von acht Wochen an andere Schafhalter. «Diese Hunderasse wird in Bosnien seit Jahrhunderten von Schafhaltern gezüchtet. Tornjak-Hunde braucht man nicht gross auf ihre Aufgabe, Schafe zu beschützen, vorzubereiten. Sie haben es in ihrem Blut.» Entscheidend sei dabei das Alter von zwei bis acht Wochen. Dann gelte es, die jungen Hunde an die Schafe zu gewöhnen. «Wir bringen sie in dieser Zeit nur mit den Lämmern zusammen. Wie in einem Kindergarten. Wir beobachten sie intensiv und greifen ein, wenn die Hunde zu weit gehen. Beisst einer, und sei es nur im Spiel, in die Kehle eines Schafes oder ins Ohr, wird er für einige Tage aus der Herde entfernt.» Es brauche rund ein Jahr, bis man sich ganz sicher sein könne, dass den Hunden nicht ihr Jagdtrieb durchgeht. Die drei erwachsenen Herdenschutzhunde, die Tag und Nacht mit den Schafen verbringen, zeigen, wie es geht: Schnuppern, lecken, den Kopf zwischen die eng beieinander stehenden Schafe stecken oder auch nur in einer Ecke des Stalles dösen. Aber sie müssen auch allzeit bereit sein. Er habe viel Respekt vor den Wölfen, sagt Aleš Sedmak. «Sie sind wunderbare Tiere, und sie sind schlau». Ein Wolfsrudel habe eine Schafherde, die täglich auf eine von elektrischen Zäunen geschützte Weide getrieben wurde, lange beobachtet, bis sie den schwachen Punkt gefunden hätten: Die paar Minuten am frühen Morgen, wenn die Stalltüren geöffnet werden und die ersten Schafe ins Freie springen. «Dann schlugen sie in diesem unbewachten Moment zu. Mit den Herdenschutzhunden wäre das nicht passiert. Aber es braucht mindestens drei, die sich in ihren Aufgaben ergänzen». Deshalb sorge er sich nicht mehr um seine Schafe. Auch auf elektrische Schutzzäune könne er verzichten. «Auf meine Hunde ist Verlass.» Nicht so recht läuft der Verkauf der Zuchthunde. 600 Euro verrechnet Sedmak, einen Drittel der Kosten übernimmt der Staat. Dennoch sie die Nachfrage bescheiden. «Viele Tierhalter arbeiten im Nebenerwerb. Den Aufwand der Hundehaltung wollen sie sich nicht antun.»


Dokumentarfilm unbekannten Datums aus dem ehemaligen Jugoslawien: Wölfe attackieren Schafe, Herdenschutzhunde verteidigen sie - mit tödlichen Folgen für den Wolf.


Blick in die karstige Hügellandschaft im Südwesten Sloweniens. Die Wölfe sind zurückgekehrt.

Am Fusse der Kapelle Sveti Marija bei Preserje, 20 Kilometer südwestlich der slowenischen Hauptstadt Ljubljana, öffnet Janez Kržič das Stalltor. Eine 60köpfige Herde slowenischer Alpenziegen trippelt fröhlich auf die Weide, unter ihnen der Herdenschutzhund Kala. Er hat die ersten Wochen seines Lebens auf dem Hof von Aleš Sedmak verbracht, jetzt ist er erwachsen und bereit für höhere Aufgaben. Der Boarder-Collie Lira sorgt dafür, dass die Herde zusammen bleibt und sich dorthin bewegt, wo es Janez Kržič, der mit ruhiger Stimme kurze Kommandos gibt, wünscht. Zwischen Ziegen und Hunden tollen Kržič’s Kinder herum, der kleinste ist zweieinhalb, der grösste neun Jahr alt. Sie sind selbst Teil dieser Herde, Mensch und Tier bilden eine einzige grosse Familie. Dieses biblische Bild wird perfekt, als Kržič’s Frau Mirjam dazustösst, das sechs Monate alte fünfte Kind im Tragetuch. Sie bringt ihre Haltung zum Leben auf den Punkt: «Wir möchten mit Menschen und Tieren gut auskommen. Das gilt auch für die Wölfe».


Familie Kržič mit Herdenschutzhund, Treibhund, Ziegen und Schafen: ein biblisches Bild.

Kein Mensch hatte sich mehr für die abschüssigen Weiden an den Hängen der steilen Hügel interessiert. Sie wurden einst von Kartäusermönchen des Klosters Bistra bei Vrhnika bewirtschaftet, bis der den Idealen der Aufklärung verpflichtete österreichische Kaiser Joseph II. 1782 dessen Aufhebung erzwang. Noch bis in die 1990er-Jahre lebte ein Priester im Pfarrhaus bei der Kirche Sveti Marija, danach vergandeten die Weiden, die Ställe und das Wohnhaus zerfielen. Auch auf den anderen sechs Kirchenhügeln breitete sich Wald aus. Weiter südlich erstrecken sich in einer allmählich gebirgiger werdenden Landschaft die Wälder des verkarsteten dinarischen Gebirges. Sie bilden über 600 Kilometer bis ins nördliche Albanien eine der grössten zusammenhängenden Waldflächen Europas. Es ist die Heimat der mehrtausendköpfigen dinarischen Wolfspopulation. Diesem grossen Bestand ist es zu verdanken, dass die Wölfe in Slowenien nie ganz verschwunden sind, auch wenn sie noch bis in die 1970er-Jahre auf staatliches Geheiss und mit Abschussprämien bejagt wurden. 1973 wurde die Jagd in den staatlichen Jagdrevieren auf etwa einem Fünftel der Fläche eingestellt, seit 1993 dürfen Wölfe nur noch im Rahmen staatlich festgelegter Quoten gejagt werden.


Blick in die Hügellandschaft Preserjes: Hier leben ein zehnköpfiges Wolfsrudel und sechs Bären.


Der Kirchenhügel Sveta Ana in der Gemeinde Preserje wird heute wieder beweidet. Im Hintergrund rechts die slowenische Hauptstadt Ljubljana.

In der Hügellandschaft Preserjes lebt ein zehnköpfiges Wolfsrudel, dazu kommen sechs Bären. Ohne Schutzmassnahmen gäbe es für die Ziegen und Schafe der Familie Kržič wenig zu lachen. Die Wölfe wären längst auf den Geschmack gekommen und würden sich regelmässig ihre Beute holen. Mirjam und Janez Eltern sind Quereinsteiger, Janez kam als Spezialist für automatisierte Glockengeläute viel herum, seine Frau ist Graphikerin. Als ihnen bei ihrer Hochzeit vor zehn Jahren ein Schaf und ein Huhn geschenkt wurde, kamen sie allmählich auf den Geschmack, hielten hobbyhalber ein paar Nutztiere, entdeckten das verlassene Pfarrhaus, erwirkten einen Miet- und Pachtvertrag und begannen, nachdem sie ein Jahr als Selbstversorger gelebt hatten, schliesslich ein neues Leben als Schaf- und Ziegenhalter. Es läuft auch wirtschaftlich gut, eben sind sie dabei, in einem verlassenen Wirtschaftsgebäude eine Käserei einzubauen und den Tierbestand weiter zu erhöhen. Die Tiere halten sie extensiv, sie werden ausschliesslich vom Gras und Heu ernährt, das auf den 30 Hektaren Weideland wächst. «Diese Rechnung geht auf, denn wir haben keine Ausgaben für Kraftfutter, die Tiere sind gesund und brauchen kaum je einen Tierarzt», erklärt Janez Kržič. Die Herde schützen sie mit 500 Meter langen, 1,7 Meter hohen elektrisch geladenen Weidezäunen, die vom slowenischen Forstdienst zur Verfügung gestellt werden. Dazu kommt der Herdenschutzhund, der schon bald Verstärkung erhalten soll. Das klappe sehr gut, der Arbeitsaufwand sei aber nicht zu unterschätzen. Einen Arbeitstag veranschlagt Kržič für das Aufstellen eines 500 Meter langen Zaunes. Er darf sich keine Fehler erlauben, der in einem Kreis aufgestellte Zaun muss am Boden gut fixiert sein. Diese geschützte Weide lasse sich dann eine Woche lang abgrasen. Und so zieht Kržič mit seiner Herde von Kirchenhügel zu Kirchenhügel, gemolken werden die Tiere mit einer mobilen Melkstation auf der Weide, nur in den Wintermonaten sind sie ab November bis April im Stall. Es ist ein intensives, arbeitsreiches Leben. Wolf und Bär haben der Familie Kržič bisher ihren Respekt gezollt und von Angriffen abgesehen.

Keinen Respekt zeigte in einem wesentlich dichter von Wölfen und Bären besiedelten Gebiet ein Wolfsrudel vor den Milchkühen von Marko Kocjančič. «Sie haben am hellichten Tag unsere Herde in nördlicher Richtung getrieben, drei zweijährige, hochträchtige Kühe von der Herde abgetrennt und über 19 Kilometer gehetzt, bis sie so erschöpft waren, dass sie zu einer leichten Beute wurden. Später schlugen sie nochmals zu und holten zwei weitere Kühe». Für seinen finanziellen Schaden ist der Biobauer, der den 156 Hektar grossen Hof mit 86 Milchkühen und 120 Jungtieren zusammen mit seinen zwei Söhnen bewirtschaftet und jährlich knapp 400'000 Kilo Milch selbst zu Joghurt, Frischmilch und Käse verarbeitet, entschädigt worden, auch wenn, wie er betont, «der tatsächliche Schaden grösser war. Die Kühe standen ja kurz vor dem Abkalben.» Damit könne er noch leben. «Aber die Ursache dieses Übels, das Wolfsrudel, streift nach wie vor durch die Gegend, ohne dass etwas unternommen wird.» Kocjančič sieht nur eine Lösung: den Abschuss. Man habe den Wölfen durch eine übermässige Bejagung des Wildes ihre Nahrungsgrundlage entzogen. «Irgend etwas müssen sie ja fressen. Die Zeche dieser falschen Politik bezahlen wir Bauern.»


Marko Kocjančič: "Die Wölfe reissen unser Vieh, weil zu viel Wild geschossen wird."

Beim slowenischen Jagdverband zeigt man sich auch unzufrieden mit den geltenden Abschussquoten insbesondere für Rothirsche. Einerseits gelte es, Verbissschäden zu verhindern, während an die Raubtiere zuwenig gedacht werde. Konflikte mit der Landwirtschaft seien vorprogrammiert, heisst es auf Anfrage. Rund 21’000 Jägerinnen und Jäger zählt das Land mit seinen zwei Millionen Einwohnern, eine im europäischen Vergleich durchschnittliche Zahl. Für den Jägerverband sind Wölfe und Bären Teil des natürlichen Ökosystems, und auch wenn die Raubtiere in direkter Konkurrenz um die Beute stünden, so stehe deren Schutz und Erhalt für die Jäger seit Jahrzehnten ausser Frage. Die Jagd ist schwierig, es ist nicht einfach, die Vorgaben, wonach vor allem Jungtiere geschossen werden sollen, zu erfüllen. Denn Alphatiere und Jungtiere lassen sich nicht unterschieden. Erwischt es ein Alphatier, löst sich das Rudel auf. Die Folgen sind kontraproduktiv. Aus Rudelwölfen werden Streuner, die wesentlich grössere Schäden anrichten können. Die Abschussquoten werden von der Regierung festgelegt. Die wichtigen Interessensgruppen, Landwirte, Umweltorganisationen und Jäger, Wissenschaftlerinnen und Fachleute aus den Ministerien äussern sich dabei in einen konsultativen Verfahren zu den Vorschlägen aus dem Umweltministerium. Die Bandbreite ist gross. Während die Umweltverbände dafür plädieren, nur als problematisch eingestufte Raubtiere abzuschiessen, setzen sich die Bauern für deutlich höhere Quoten ein. Die zehn Wölfe, die 2018 geschossen werden dürfen – prinzipiell von jedem lizenzierten Jäger – liegen in etwa in der Mitte dieser Forderungen.


Eine Wolfsspur im Schlick eines Flusses (Bild: zVg)


Ein von Wölfen gerissenes Schaf (Bild: zVg)

Andrej Andoljšek von der slowenischen Landwirtschaftskammer hätte die Quote bei 15 Wölfen gesehen. Mit der nun beschlossenen Zahl könne er leben. Ihm gehe es um höhere Entschädigungen für die entstandenen Schäden. Das geltende Regime, wonach für gerissene Tiere der Schlachtwert vergütet werde, Ausnahmen, wie im Fall eines von Wölfen getöteten Rennpferdes, aber möglich seien, sei soweit in Ordnung. «Doch alle indirekten Schäden und ein grosser Teil des zusätzlichen Aufwandes für den Wolfsschutz bleiben unberücksichtigt. Die Bauern sind nicht bereit, diesen Preis zu zahlen. Sie verlangen, dass sämtliche Schaden vom Staat gedeckt sind. Er ist es schliesslich auch, der die Wölfe als so wichtig erachtet, dass die Landwirte Schäden davon tragen.» Sehr realistisch ist diese Forderung nicht, denn längst sind Wölfe und Bären in der Mitte der slowenischen Gesellschaft angekommen. Die auf Wildtiere spezialisierte Tierärztin Aleksandra Majič Skrbinšek von der Universität Ljubljana hat sich im Rahmen ihrer Forschung intensiv mit der Haltung der slowenischen Bevölkerung zu den grossen Raubtieren im Land beschäftigt. Das Ergebnis ist unmissverständlich: Sowohl in den Städten als auch auf dem Land sind Wölfe und Bären von einer breiten Mehrheit akzeptiert, Zweifel oder Ablehnung kommen vor allem aus der Landwirtschaft, etwas weniger von Jägerinnen und Jägern. Auch aus diesem Grund legen die landwirtschaftlichen Verbände ihren Schwerpunkt auf höhere Entschädigungen. Sie engagieren sich aber zum Leidwesen des Forstingenieurs Rok Černe, beim slowenischen Forstdienst zuständig für Grossraubtiere, weit weniger für die Aufklärungs- und Beratungsarbeit. «Wir hatten gehofft, dass wir diese Arbeit nach und nach in die Hände der Fachverbände legen könnten. Doch dafür ist es noch zu früh.» Dabei, so Černe, «haben wir von 2010 bis 2013 im Rahmen eines EU-Projektes herausgefunden, dass es sehr wirksame Massnahmen gibt, um Schäden an Nutztieren durch Wölfe oder Bären um bis zu 90 Prozent zu reduzieren: 1,7 Meter hohe, elektrisch geladene, mobile Zäune und Schutzhunde. Abschüsse können nötig werden, wenn Wölfe die vom Menschen gesetzten Grenzen wiederholt überschreiten. Doch das ist sehr selten geworden, etwa wenn Wölfe sich auf die Jagd auf Rinder spezialisieren. 12 Rinder, mehrheitlich Jungtiere, sind 2017 gerissen worden. Mit Schafen und Ziegen haben wir heute kaum mehr Probleme. Der Herdenschutz funktioniert sehr gut.» Die Probleme begännen, wenn Wölfe ihre Angst vor dem Menschen verlieren. Abschüsse von Wölfen aus dem Rudel heraus, aber auch von Einzeltieren, hätten sich gut bewährt. «Die Entfernung von ganzen Rudeln bringt keinen weiteren Erfolg. Wir hatten einen Fall, bei dem ein Rudel regelmässig Schafe aus einer Herde holte. Als ein einzelnes Tier aus diesem Rudel geschossen wurde, hörte der Spuk sofort auf.» Doch eine absolute Sicherheit werde es nie geben. Deshalb sei das Monitoring der Wolfspopulation auch zentral für das künftige Management. «Wir wissen heute sehr genau Bescheid über deren Entwicklung und können auch die Zahl der Rudel und der Wölfe mit hoher Genauigkeit ermitteln.» 14 Rudel bevölkern danach die slowenischen Waldgebiete primär südlich der Hauptstadt Ljubljana, einige von ihnen pendeln dabei zwischen Kroatien und Slowenien. Im Norden des Landes sind die Wölfe erst dabei, sich auszubreiten. Je nach Zählweise kommt man dann auf etwa 75 Wölfe, die entweder in Slowenien oder im slowenisch-kroatischen Grenzgebiet leben.


Rok Černe: "Es gibt sehr wirksame Massnahmen, um Nutztiere vor Wölfen und Bären zu schützen."

Aus wissenschaftlicher Sicht sei es nicht nötig, den Bestand zu regulieren, sagt Aleksandra Majič Skrbinšek. «Das machen die Wölfe unter sich aus. Sie verteidigen ihre Reviere vehement gegen eindringende Artgenossen und töten diese notfalls auch.» Zudem habe es im Norden des Landes noch genügend Platz für den Wolfsnachwuchs, um eigene Rudel zu begründen. Die regulären Abschüsse dienen für Skrbinšek primär dem Bedürfnis des Menschen nach Einflussnahme. Das sei verständlich, auch wenn der Nutzen gering bis nicht vorhanden sei. Denn es sei immer noch der Mensch, der über das Schicksal der Wölfe entscheide. «Und legale Abschüsse tragen wesentlich dazu bei, dass es in Slowenien kaum mehr zu Wilderei kommt. Dieser Pragmatismus hat sich bewährt. « Und solange die Abschussquoten die Erhaltung der Art nicht gefährdeten, sei dagegen wenig einzuwenden.


Am Fuss einer über 500-jährigen Tanne in einem Wald nahe der Ortschaft Rajhenav (Reichenau) in der Gemeinde Kočevje (Gottschee) im Südosten Sloweniens sucht der Viehzüchter Alojz Brdnik im Schnee nach Wolfsspuren. Vergeblich. «Es taut. Das verwischt die meisten Tierspuren schnell». In der Nähe einer vor Jahrzehnten aufgegebenen Sägerei findet sich schliesslich am Strassenrand eine Bärenspur. Die mächtigen Tatzenabdrücke sind unverkennbar. «Wir haben hier auf relativ engem Raum ungefähr 40 Bären und drei Wolfsrudel». Wolfsspuren fänden sich dennoch selten. «Ihnen ist es hier zu lärmig. Sie ziehen ruhigere Waldgebiete östlich von hier vor.» Ganz spurenlos geht das Treiben der Wölfe aber am Hof von Brdnik nicht vorbei. Aus der Mitte seiner Kuhherde rissen Wölfe ein Kalb. Dessen Reste fanden sich in einer Mulde in der Nähe der Weide erst nach der Schneeschmelze. Brdnik züchtet Limousin-Rinder, die Zuchttiere verkauft er in ganz Slowenien. Er sei der einzige Einwohner des Ortes und deshalb der naturgemässe Bürgermeister, scherzt er. Tatsächlich zählte Rajhenav einmal 280 Seelen. Es waren die Nachfahren deutscher Siedler aus Mecklenburg-Vorpommern, die im 14. Jahrhundert nach einer verlorenen Schlacht zur Auswanderung gezwungen worden waren. Im «Gottscheer Land» lebten in 171 Dörfern während 600 Jahren bis 1941 15'000 Deutschstämmige, fleissig und arbeitsam, arm und traditionsbewusst. Als deutsche Truppen mit italienischer Unterstützung im April 1941 das damalige jugoslawische Königreich eroberten, hatten die Diktatoren Hitler und Mussolini Slowenien unter sich aufgeteilt. Die Gebiete nördlich des Flusses Save wurden vom deutschen Reich einverleibt, die südliche Hälfte des Landes mit der Hauptstadt Ljbuljana rissen die Italiener an sich. In einem absurden, von einer Propagandatruppe vor Ort orchestrierten Aktion wurden die Gottscheer Deutschen Ende 1941 «heim ins Reich» geholt. Bis Kriegsende lebten sie im nördlichen Slowenien (der damaligen «Untersteiermark» in Häusern, aus denen Slowenen deportiert worden waren. Danach wurden sie aus dem wieder erstandenen, nun sozialistischen Jugoslawien vertrieben. Wer bleiben wollte, den erwartete der Tod. Etwa 5000 Menschen, ein Viertel der ursprünglichen Bevölkerung, unter ihnen nur noch einige hundert Gottscheer, waren nach der Umsiedlung im waldigen Gotscheer Land zurückgeblieben. Ihr rund 860 Quadratkilometer grosses Siedlungsgebiet wurde zum Rückzugsgebiet slowenischer Partisanen, denen sich auch einige Dutzend Deutsche anschlossen. Über 100 Dörfer wurden von italienischen Truppen vollständig zerstört, der von den Italienern gehaltene Hauptort Kočevje (Gottschee) war nach dem Krieg praktisch unbewohnbar. In den 1950er-Jahren wurden weitere Spuren deutscher Besiedlung getilgt, ganze Dörfer, Kirchen und Friedhöfe verschwanden von der Bildfläche. Zu diesen Dörfern zählt auch Reichenau. Nur ein Wirtschafts- und ein Hofgebäude blieben erhalten, die Weiden wurden in den folgenden Jahrzehnten nur noch extensiv bewirtschaftet. Als Alojz Brdnik Reichenau auf der Suche nach einem Hof entdeckte, waren die Gebäude verlassen, das Land gehörte den Wölfen und Bären. Heute bewirtschaftet er einen 170 Hektaren grossen Betrieb mit weiteren 100 Hektar zur Heugewinnung in der Einsamkeit, die nächste Siedlung ist 18 Kilometer entfernt. Weiden und Wald kennt er längst so gut wie seine Hosentasche. Die Wölfe bleiben auf Distanz. In 22 Jahren hat er keine zu Gesicht bekommen.


Der ehemals von 280 "Gottscheer Deutschen" bewohnte Flecken Reichenau. Heute werden hier Limousin-Rinder gezüchtet.

Platzhalter-innen und * für Transgender

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