Früher bevölkerten die ausgestorben geglaubten Schwarzen Alpenschweine die höher gelegenen Gebiete. Dank einem Projekt des Netzwerkes Pro Patrimonio Montano und der Hilfe des WWF werden die letzten vorhandenen Individuen zu Zuchtgruppen zusammenzufassen. Das Ziel: Sie sollen mit ihren Fressgewohnheiten aktiven Naturschutz betreiben und der Berglandwirtschaft dienen.
Bella stürzt ins Freie, grunzt zufrieden, senkt ihren Kopf tief ins Gras und rupft Gräser mit und ohne Wurzelteile aus. Es klingt, als würde eine Kuh grasen. Bella ist aber keine Kuh, sondern ein Schwarzes Alpenschwein. Sie ist der lebende Beweis für ein eindrückliches Comeback einer verloren ausgestorben geglaubten Haustierrasse. Die Schwarzen Alpenschweine begleiteten die Bauernfamilien über Jahrhunderte auf die Alp und lebten dort von dem, was die Natur hergab. Die Tiere brauchen weder Schotte, noch sonstige Futterergänzungen. Im Gegenteil: sie schrecken auch vor Brennnesseln und – so ist in der Literatur zu lesen – vor Blacken nicht zurück. Blacken hat es hier auf Käthi Gaudins Anwesen in Schattenhalb bei Meiringen allerdings nicht. Doch die Brennnesseln sind schon angeknabbert. Dabei ist Bella mit ihrem Nachwuchs und Eber Bobby erst knapp zwei Wochen hier. Es sind sozusagen ihre Sommerferien. Denn normalerweise leben die Tiere auf dem Hörnli im zürcherisch-St.Gallischen Grenzgebiet. Ursprünglich ist Bella eine Italienerin, aber ihre Vorfahren bevölkerten mehr oder weniger den ganzen Alpenraum. Ihre dunkle Farbe schützt sie vor der intensiven Sommersonne in den Bergen. Im Gegensatz zum rosaroten Hausschwein kennen sie keinen Sonnenbrand. Sie sind auch deutlich kleiner und leichter, und hochbeinig – berggängig eben. Die heutigen Hausschweine sind aufgrund ihres Körperbaus und ihres Gewichtes für die Beweidung von Alpen nicht mehr geeignet. Ausserdem vertragen sie wegen ihrer Pigmentierung nicht viel Sonne. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts starben die schwarzen und gefleckten Alpenschweine, die unter dem Namen Schwarze Alpenschweine zusammengefasst sind in den meisten Alpengegenden aus. Einerseits wurden sie durch fremde Hochleistungsrassen ersetzt, andererseits wurden vermehrt pflegeleichten Ziegen und Schafe gealpt. Die Industrie verlangte Arbeitskräfte. Die Alpen entvölkerten sich. Hape Grünenfelder, Gründer der SAVE-Foundation, einer Organisation, die sich für den Erhalt des landwirtschaftlichen Erbes einsetzt, stiess vor rund zehn Jahren auf Hinweise, dass es im südlichen Alpenraum noch vereinzelt schwarze Schweine gebe. Er erinnert sich an zahlreiche Fahrten in den Jahren 2013 und 2014 in abgelegene Seitentäler. „Es war eine Detektivarbeit, die sich gelohnt hat. Denn trotz zahlreicher Rückschläge gibt es nun genügend Tiere, um die Schwarzen Alpenschweine wieder zu züchten.“ Dies erreichte er und seine Mitstreiter, in dem sie aus dem Veltlin, Samolaco bei Chiavenna und im Ultental im Südtirol die einzelnen noch vorhandenen Schweine mit Hilfe des alpinen Netzwerkes Pro Patrimonio Montana aufkauften und Zuchtgruppen initiierten. Heute gibt es rund 45 Zuchtgruppen. Inzwischen sind sie auch in der Schweiz etabliert. Doch die Bemühungen um eine Rückführung dauerten fast drei Jahre. In der Schweiz gibt es inzwischen 12 weibliche Zuchttiere, doch ein Herdebuch wird zentral für die Schweiz, Deutschland, Österreich und Italien geführt.
Genügsame Allesfresser
Die drei Abstammungslinien, die alle dem alten Berg-Ökotyp entsprechen, bilden einen Genpool. Die Samolaco-Linie bringt übrigens die Scheckung in die Rassen hinein. Wieviel Ähnlichkeit mit dem historisch beschriebenen Alpenschwein besteht, bleibt offen. Sicher ist, dass andere Rassen eingekreuzt wurden, dass aber auch die früheren Schwarzen Alpenschweine heterogen waren und von Tal zu Tal etwas variieren. „Wichtig ist, dass das Aussehen dem ursprünglichen nahe kommt und dass sich die Eigenschaften gleichen“, erklärt Hape Grünenfelder. Die Schwarzen Alpenschweine beweiden die für Kühe wertlosen Lägerfluren. Dies sind Flächen rund um einen Stall, die von Rindern überdüngt wurden, und deshalb nur eine reduzierte Pflanzengesellschaft beherbergen, die zudem von den Kühen nicht gefressen wird. Diesem Zusatznutzen stehen deutlich tiefere Haltungskosten gegenüber. Die Gruppe von Käthi Gaudin jedenfalls scheint sich mit ihrer eigenwilligen Art ziemlich von sonstigen Hausschweinen zu unterscheiden. Die Tiere legen das in der Literatur beschriebene Verhalten der früheren Schwarzen Alpenschweine an den Tag. Sie nutzen die steile Fläche ihres fast eine halbe Hektar grossen Geländes aus. Sie suchen sich Suhlplätze und vor allem die Ferkel stürmen übers Gelände und springen über Baumstämme als wollten sie den Gemsen im nahen Wald Konkurrenz machen. Käthi Gaudin hat Erfahrung mit Wollschweinen. Sie sagt über die Schwarzen Alpenschweine: „Sie sind temperamentvoller und irgendwie rassig.“ Sie gibt den Tieren jeweils am Morgen, andere Halter am Abend etwas Futter. Manchmal essen sie es, manchmal verschmähen sie es und suchen eigenes Fressen.
Der spezielle Speiseplan und der durch das Wühlen aufgelockerte Boden wirkt der Verkrautung entgegen. Dies ist ökologisch wertvoll, wenn man bedenkt, dass auf den Alpen oft mit Unkrautvertilgern gegen Blacken vorgegangen wird. Damit kann die erste Gewässerverschmutzung bereits im Quellgebiet verhindert werden. Ausserdem muss kein Mastfutter auf die Alp gefahren werden. Inzwischen sind die ersten Alpenschweine auch bei Spitzenköchen auf den Tellern gelandet. Die Nachfrage steigt. Hape Grünenfelder: „Die Marmorierung des Fleisches ist attraktiv und das Fett weist einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren auf. Das haben Untersuchungen ergeben.“