Alpwirtschaft

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Die Alp Greina gehört seit über fünf Jahrhunderten dem Patriziat Aquila. Bis vor einem Jahrhundert weideten Pferde auf den ebenen Flächen. Heute sind sie von Sumvitger Schafen und Tessiner Rindern abgelöst.

Es spukt auf der Greina. Ein Reiter auf einem schwarzen Hengst ist dazu verdammt, ewige Busse zu tun für ein schmieriges Geschäft, das ihn zum reichen Mann gemacht hatte. Er hatte zwei Brüder beim Kauf der Weiderechte für eine Herde Pferde auf der Alp Greina über den Tisch gezogen. Jeder, der den Mann sieht, soll binnen eines Jahres sterben, heisst es. Leo Tuor, in den Jahren 1985 - 1999 auf der Alp Greina als Schafhirt tätig, erzählt die Legende in seinem Buch "Giacumbert Nau". Es handelt von der Einsamkeit des Hirten, einem nachdenklichen Zeitgenossen und Einzelgänger, der im steten Konflikt zwischen Altem und Neuem steht. Auf die Alp bringt ihn ein Helikopter, andere Alphirten bieten ihm das Boulevardblatt zur Lektüre an. Er lebt mit einem einfachen Gasherd in einer in eine Felsspalte gebauten Hütte und hütet seine Schafe, erzählt vom kulturellen Reichtum der Gegend, von Schutzheiligen und von alten Geschichten.Tausende von Wanderern, die alljährlich über die Plaun de la Greina pilgern, die Tundra der Alpen, lassen sich von solchen Geschichten längst nicht mehr abschrecken. Die heute noch rund 900-köpfige Schafherde werden sie kaum zu Gesicht bekommen. Viel zu weitläufig ist die am Talende des Val Somvitg beginnende Alp mit ihren Weiden auf einer Fläche von 1200 Hektaren, die sich von 1400 Metern bis in die alpinen Zonen auf 2600 Metern erstrecken. Im Flachmoor der Greina mit einer Vegetation wie in subpolaren Gebieten weidet vor allem das Rindvieh der Alpe Motterascio. Die Weiden der Schafe liegen in den Seitentälern und den die Greina säumenden Hängen. Die Herde folgt dabei ab Mitte Juni aus den tiefsten Weiden des Somvitg auf 1400 Meter dem sich in den Höhenlagen langsam entwickelnden Sommer bis in die Gipfelhänge der 3000er-Berge und zieht sich gegen den Herbst hin etappenweise wieder zurück.


Wanderer schwärmen von der tundra-ähnlichen Landschaft auf der Greina. Während Jahrhunderten grasten hier Pferde. (Bild: Roland Gerth)

Pferdesömmerung gegen Alprecht
Die Alprechte der Alp Greina gehören seit 1494 dem Patriziat Aquila. Die Verkäuferin, die Talgemeinde Lugnez, bedingte sich das Recht heraus, so viele Pferde während 60 Tagen auf der Alp zu sömmern, wie sie im Winter beherbergen konnte. Damit waren Pferde gemeint, die vor allem als Saumtiere benötigt wurden. Für den Weiterverkauf bestimmte Zuchtpferde waren von der Sömmerung ausgeschlossen. Die Zahl der gealpten Pferde auf der Greina soll in früheren Jahrhunderten in die Hunderte gegangen sein. Beweidet wurde dabei aber fast nur der flache Talgrund, der als ideales Pferdeterrain galt. Die Hänge überliess man den Tessiner Rindern und Schafen. Damit, so glaubten die Lugnezer, hätten sie den Fünfer und das Weggli gewonnen: Den von Aquila zu leistenden, "ewigen" Zins und die besten Weidegründe auf der Greina. Jahrhundertelange Streitereien um diese Zinsverpflichtung waren die Folge, die sich formal erst mit dem modernen Schweizer Zivilgesetzbuch von 1912 lösen liessen, nach dem der Lehensvertrag nach modernem Recht als Kaufvertrag zu gelten hatte. Vorher hatten schon die Fakten gesprochen. Mit dem Eisenbahnbau schwand die Bedeutung der Säumerei fast über Nacht. Den Lugnezern kamen die Pferde abhanden. 1902 wurden die letzten Pferde gesömmert, ein Versuch, stattdessen Fohlen auf die Alp zu treiben, war mangels Nachfrage und geeigneter Gebäulichkeiten ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Im Alpkastaster von 1909 wird die Alp Greina mit einer Fläche von 600 Hektar angegeben, von denen nur 200 produktiv seien. Gemeint war damit der Anteil der Greina-Ebene, der durch die Lugnezer Pferde beweidet wurde. 1924 verpachtete Aquila die Alp an die Alpkooperation Diesruth-Brigels und überging damit die Lugnezer. Seither wird sie nur noch mit Schafen bestossen. Nachdem sie von der Gemeinde Sumvitg übernommen worden war, ging die Bewirtschaftung 2003 an die neu gegründete Alpgenossenschaft Sumvitg über. Der Hirt ist unterhalb der Terrihütte stationiert. Wie viele Schafe früher gesömmert wurden, ist nicht überliefert. Man darf aber davon ausgehen, dass es analog zu anderen Alpen in der Region wesentlich mehr waren als heute. Noch in den 1980er- und 1990er-Jahren seien es um 1200 Schafe gewesen, erinnert sich Leo Tuor. Heute sind es um die 900. Zulässig wären 2 - 3 Schafe pro Hektar, tatsächlich ist es nur eines. Empfohlen wird für eine künftige Nutzung die Aufgabe der oberhalb von 2400 Meter gelegenen Weiden, deren Biodiversität nicht von der kurzzeitigen Nutzung durch die Schafe abhängig sei. Auf den meisten anderen Weiden beförderten die Schafe, obwohl sie nur auserlesene Kräuter fressen, die Biodiversität, indem sie in der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit für eine Verjüngung der von ihnen begehrten Pflanzen sorgen. Während früher die gealpten Schafe ausschliesslich aus der Gemeinde Sumvitg stammten, hat sich der Anteil der "einheimischen" Tiere bei etwa 80 Prozent eingependelt. Etwa 100 Schafe werden aus Zizers auf die Alp Greina geführt, die übrigen stammen aus der Region Disentis. Die Mehrheit der Schafhalter sind Vollerwerbsbauern, einige haben gänzlich auf die Schafhaltung umgestellt, andere halten eine geringe Zahl Schafe, um die steilen Hänge beweiden zu können. Finanziell lohnt sich das nur sehr bedingt.

Wie ein Tatzelwurm sehen die 1200 Schafe aus, die auf einem extrem steilen Hang von der Greina ins Somvix im Kanton Graubünden absteigen. Drei Hirtenhunde und ein Schafhirt sorgen dafür, dass auch jene, die vom Weg abkommen, ihr Ziel, die Weiden im rund 700 Höhenmeter tiefer gelegenen Talgrund, erreichen. (Bild: Fitze)



Viehaufzug aus dem Bleniotal

Während Jahrhunderten wurden viele Alpen auf der heutigen Bündnerseite im Greinagebiet aus dem Bleniotal bestossen. Als sich die Rahmenbedingungen ungünstig entwickelten, zogen sich die Tessiner um 1900 allmählich zurück.

Als im Jahr 1494 das Patriziat von Aquila im Bleniotal von der Talgemeinde Lugnez die Alp Agrena, die heutige Alp Greina, erwirbt, arrondiert sie ihre Besitztümer nördlich der Wasserscheide zu einem stattlichen Alpgebiet, das vom Val Luzzone über die Greina bis zu Teilen der Alp Blengias im Lumnez reicht. Auch andere Blenieser Kommunen und Privatpersonen erwarben Alpen auf der heutigen Bündnerseite: im Sumvitg, im Lumnez und im Valsertal. Der Alpauf- und abtrieb und der Transport der Alpprodukte waren eine mühselige Angelegenheit: Etwa aus Semione (399 m) durch die Sosto-Schlucht oberhalb von Olivone nach Campo Blenio (1215 m) und weiter durch das Val Camadra hinauf zum Greinapass (2362 m) und über die Hochebene der Greina hinauf zur oberen Canallücke (2655 m) und in südwestlicher Richtung zu den verschiedenen Alpen. Der Hintergrund ist letztlich in der Bevölkerungsentwicklung begründet. Während im Bleniotal gutes Weideland immer knapper wurde, stand dieses ennet der Wasserscheide reichlich zur Verfügung. Das Bleniotal war vergleichsweise dicht besiedelt, einige Gemeinden erreichten ihr historisches Bevölkerungsmaximum im 16. Jahrhundert. Zudem gab es in den norditalienischen Städten reichlich Nachfrage nach Milchprodukten und Fleisch. Die Ausweitung der Alpgebiete nach Norden war auch ökonomisch folgerichtig. In den bevölkerungsarmen Bündner Tälern wie dem Lumnez, Sumvitg oder Vals waren gute Alpweiden quasi im √úberfluss vorhanden. Die Bündner achteten aber sehr wohl darauf, dass sie die besten Weidegründe für sich behielten. Historisch gute Beziehungen der Notabeln trugen das Ihrige zum Handel mit den Alprechten bei. Es kam zu einem regen Austausch, die Märkte im Tessin und in Graubünden waren über Jahrhunderte von beiden Seiten gut besucht. Auf den im Sommer im Vergleich zu heute geradezu dicht bevölkerten Alpsiedlungen erbebte auch manches Herz. Grenzüberschreitende Heiraten und Niederlassungen waren die Folge. Es waren schliesslich die sich verändernden Rahmbedingungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zum allmählichen Rückzug der Bleniesi aus den entlegensten Alpen führten. Die Intensivierung der Landwirtschaft mit steigenden Erträgen in den Tälern machte die extrem arbeitsintensive Alpwirtschaft zunehmend unrentabel, der teils dramatische Bevölkerungsschwund führte zu akutem Personalmangel, dem auch mit einer verbesserten Arbeitsteilung durch die Einführung von Alpgenossenschaften nicht mehr beizukommen war. Um 1920 war es mit der Blenieser Herrlichkeit auf den Bündner Alpweiden weitgehend vorbei. Manche Alpen blieben noch über Jahrzehnte in deren Besitz, wurden aber nach und nach verkauft. Heute ist dieses Stück alpwirtschaftlicher Geschichte beinahe in Vergessenheit geraten.

 

 

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