Seit sieben Jahrtausenden wird am Salzberg hoch über dem Hallstätter See im Salzburgerland ein für den Menschen überlebensnotwendiger Rohstoff gewonnen: Salz. Archäologen rekonstruieren die Geschichte des ältesten noch im Betrieb stehenden Bergwerks der Welt.

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Bronzezeitliche Stiege aus den Hallstätter Salzbergwerken, dendrochronologisch auf 1344 und 1343 v. Chr. datiert.

Vorsichtig öffnet die Historikerin Karina Gröner ein kleines, wieder verschliessbares Plastiksäckchen. Kleine Perlen kullern auf ihre Hand. „Sie sind aus Bernstein. Wir wissen nicht, auf welchen Handelswegen sie von der Ostsee nach Hallstatt gekommen sind. Die Perlen sind sehr fein gedrechselt. Das ist die Arbeit eines Spezialisten. Wo war dessen Werkstatt? Wir haben zwar keine Belege, aber es ist gut denkbar, dass sie sich in Hallstatt befand“. Gelänge die Beweisführung, dann wäre das eisenzeitliche Hallstatt während viereinhalb Jahrhunderten von 800 bis 350 vor Christus nicht nur ein kommerziell höchst erfolgreiches Zentrum der Salzgewinnung mit weit verzweigten Handelsverbindungen gewesen, sondern hätte auch Künstlern und Kunsthandwerkerinnen eine Wirkensstätte geboten. Eine kunstinteressierte Kundschaft jedenfalls gab es mit Sicherheit. Denn die Hallstätterinnen und Hallstätter dieser Epoche pflegten künstlerisch wertvolle Beigaben von erlesener Machart mit in ihr Grab zu nehmen, so reich, dass es Anton Kern noch heute, nach bald 20 Jahren archäologischer Forschungsarbeit, manchmal die Sprache verschlägt. Der Direktor der prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien zeichnet verantwortlich für die archäologischen Arbeiten an einem der berühmtesten Gräberfelder der Welt, das einer ganzen Epoche einen Namen verlieh: die Hallstatt-Zeit. Einer der spektakulärsten Funde kam 2008 aus einem Grab zum Vorschein: ein mutmassliches Zeremonialgefäss aus Bronze mit einem Henkel, der sich aus einer grossen und kleinen Rinderfigur zusammensetzt. Ein ähnliches Gefäss war schon einmal vor Jahrzehnten freigelegt worden. Doch der jetzige Fund, er ist derzeit beim Germanischen Museum in Nürnberg zur Restaurierung, sei wahrscheinlich wegen seiner feinen Ausgestaltung noch wertvoller.

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„Zeremonialgefäß“ aus Bronze mit aus einer großen und einer kleinen Rinderfigur zusammengesetztem Henkel aus dem Gräberfeld von Hallstatt.


Sie liebten das Schöne, Erhabene, manchmal Pathetische, sie benutzten Dolche als Schmuckstücke und feinsten Ohrschmuck - und sie wussten ihren Reichtum zu teilen. „Es gibt auf dem eisenzeitlichen Friedhof nur sehr vereinzelt Gräber ohne jegliche Beigaben. In ihnen wurden vermutlich ortsfremde Menschen bestattet“, erklärt Kern. Und auch wenn es besonders prunkvoll ausgestattete Gräber gibt, so lasse sich daraus nicht die Existenz einer Oberschicht ableiten, die die politischen Fäden gezogen habe. Eine egalitäre Gesellschaft also? „Kann sein“, schmunzelt Kern, „aber es kann auch nicht sein. Wir wissen schlicht zuwenig, um solche Schlüsse zu ziehen und können weitgehend nur Vermutungen anstellen“. Denn noch etwas erstaunt: eine Gemeinschaft von so kultivierten, kunstbeflissenen Menschen hat keinerlei Schriftzeugnisse hinterlassen, in einer Zeit, als die Schrift zumindest bei manchen ihrer mutmasslichen Kunden auf der Alpensüdseite längst eingeführt war. Nichts erhalten – oder zumindest ist bislang nichts zum Vorschein gekommen – hat sich auch von den Behausungen der Menschen dieser Epoche. „Wir wissen nicht einmal, wo diese Siedlung lag“. Das liegt vermutlich an einer Naturkatastrophe, ein durch einen Bergsturz ausgelöster Schuttstrom, der um 350 vor Christus Förderanlagen und Siedlung vollständig zerstörte und unter einer meterhohen Schuttschicht bedeckte. Vermutlich hatten die Hallstätter Bergleute die Zeichen der Natur zu deuten gewusst und das Salzbergtal rechtzeitig verlassen. Sie sollten zurückkehren.
Denn zu reichhaltig und wertvoll sind die Salzstöcke am Hallstätter Salzberg, als dass die Risiken des Bergbaus nicht weiter in Kauf genommen worden wären. Schon einmal, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, hatte der Berg drei bronzezeitliche Gruben zerstört, die wahrscheinlich über mehrere hundert Jahre in Betrieb gewesen waren. Das Salz im Berg hat für perfekte konservatorische Rahmenbedingungen gesorgt. 2003 wurde an einer Fundstelle eine Holzstiege entdeckt, deren Hölzer, wie dendrochronologische Analysen zeigen, in den Jahren 1344 und 1343 vor Christus geschlagen worden waren. Es ist ein technisches Meisterwerk, ein Baukastensystem, das nicht nur raschen Auf- und Abbau, sondern auch eine Anpassung an den Neigungswinkel möglich machte. Eine vergleichbare Konstruktion ist weltweit nirgends bekannt. Im „Heidengebirge“, wie der Abraum in den urhistorischen Bergwerken genannt wird, finden sich auch viele organische Reste, von menschlichen Exkrementen bis zu Textilien oder Bast, das als Binde- und Zugmaterial verwendet wurde. Die Abbautechnik der Bronzezeit geriet nach deren Untergang in Vergessenheit. Als, praktisch über Nacht, im neunten Jahrhundert die eisenzeitlichen Hallstätter Bergleute mit der Ausbeutung des Salzes begannen, machten sie fast alles anders. Einzig die Beile zum Herausschlagen des Salzes aus Bronze verwendeten sie weiter – obwohl ihnen die Vorzüge des Eisens wohl bekannt gewesen sein müssen. Während die Kollegen der Bronzezeit das Salzen in kleinen Stücken, dem Hauklein, herausschlugen, wurden in der Eisenzeit grosse, bis zu 100 kg schwere Platten herausgebrochen – möglicherweise ein Markenzeichen des Hallstätter Salzes. Denn, anders als in der Bronzezeit, die den Hallstättern zumindest in den Ostalpen ein komfortables Salzmonopol beschert hatte, gab es in der Hallstätter Zeit Konkurrenz aus Dürrnberg, wo man sich übrigens eiserner Beile bediente. Dem wirtschaftlichen Erfolg scheint dies aber keinen Abbruch getan zu haben.

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Hirschgeweihpickel aus dem Hallstätter Salzbergtal, radiokarbondatiert auf 5000 v. Chr.

Die Spuren des Salzbergbaus reichen bis weit in die Steinzeit zurück. Heute gehen die Forscher davon aus, dass seit rund 7000 Jahren Hallstätter Salz fast unterbruchslos abgebaut und genutzt wird – das älteste Bergwerk der Welt. Die grossen zeitlichen Lücken – so finden sich seit der Römerzeit bis ins Mittelalter keinerlei Spuren – bedeuten nichts, dass es keinen Bergbau gab. „Aber“, so Anton Kern, „wir müssen vom König Zufall leben. Die meisten historischen Stollenanlagen sind vom Bergdruck längst wieder verschlossen. Eine systematische Suche im Berg ist unmöglich. Es ist deshalb angesichts des vorhandenen Salzreichtums und deren grosser ökonomischer Bedeutung eher davon auszugehen, dass es eine seit sieben Jahrtausenden anhaltende Kontinuität der Salzgewinnung in Hallstatt gibt“.

Salzreise durch die Jahrhunderte
Schwungvoll – die Schnellsten schaffen 35 km/h – geht es auf der Holzrutsche bergab, so, wie es die Bergknappen vor Jahrhunderten gemacht hatten. Es ist einer der Höhepunkte einer zweistündigen Führung durch den Hallstätter Salzberg, wie sie hier im Halbstundentakt angeboten werden. Der kurzweilige, mit verschiedenen Vorträgen der Führerin, Filmbeiträgen und einem Lichtspektakel aufgelockerte Gang durch historische und zeitgenössische Stollen und Kavernen erschliesst eine Welt, wie Menschen in Hallstatt seit Jahrtausenden kennen – beeindruckend und besonders auch für Kinder ab sechs Jahren geeignet.