Gross war einst die Vielfalt an Rebsorten. Davon ist im heutigen kommerziellen Anbau wenig übrig geblieben. Jetzt wird dieses agrarhistorische Erbe neu entdeckt.

heunisch
"Heunisch", eine uralte Rebsorte, feiert ein Comeback.

Ein ziemlich saurer, gewöhnungsbedürftiger Tropfen, den Joseph Chanton da kredenzt. „Gwäss“ wurde dieser Wein im Wallis früher genannt, bevor er in Vergessenheit geriet. Jetzt feiert er ein Comeback – in der Spitzengastronomie, wo, wie der Walliser Winzer anmerkt, „Gwäss“, oder „Heunisch“, wie er auch heisst, inzwischen als bester Wein gehandelt wird, der zu Austern getrunken werden kann. Da waren ja schon immer leichte, trockene und junge Weisse gefragt. Da passt dieser herbe, aber süffige Weisse tatsächlich perfekt in diese Philosophie. Im August seien die Trauben früher gelesen worden, erzählt Chanton. „Da hatten sie kaum mehr als 40 Oechsle-Grade. Das gab wirklich saure Tropfen“. Heute werden die „Gwäss“-Trauben mehrere Wochen später geerntet, sie reifen bis knapp zum doppelten Oechslegrad. Die historisch gesicherten Spuren des Heunisch reichen bis in die Zeit Karls des Grossen zurück, der die Traube im 9. Jahrhundert aus Ungarn nach Frankreich geholt haben soll. Der Ampelograph (Rebsortenkundler) Andreas Jung geht davon aus, dass die Ursprünge der Sorte, wie der meisten heute bekannten Rebsorten, im Kaukasus liegen, wo im heutigen Georgien und Aserbaidschan sich bis heute jahrtausendealte Rebsorten gehalten haben. Joseph Chanton ist einer der ganz wenigen Winzer, die alte Rebsorten wie den Gwäss, aber auch roten Eyholzer oder Lafetschna, wieder zum kommerziellen Leben erweckt haben: Nischenprodukte, die, wie der Rote Eyholzer, in teuren Restaurants für Glaspreise von über zehn Euro ausgeschenkt werden – was mehr der Exclusivität als der Qualität geschuldet ist.

Er halte das Marktpotenzial für die meisten alten Rebsorten für sehr begrenzt, meint Ferdinand Regner, Leiter der Abteilung Rebenzüchtung an der Bundeslehranstalt in Klosterneuburg bei Wien. „Sie sind einfach nicht gut genug, um sich tatsächlich abgrenzen zu können von den gängigen Sorten“. Doch das ist nicht der entscheidende Faktor, um sie zu erhalten. Vielmehr gehe es um die Pflege eines möglichst breiten Genpools, sagt Christian Eigenmann, Koordinator der Projekte des Schweizer „Nationalen Aktionsplanes zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft“ beim zuständigen Bundesamt für Landwirtschaft. Tatsächlich ist von den weltweit bekannten, rund 20‘000 Rebsorten nur ein vergleichsweise winziger Bruchteil auch im kommerziellen Anbau. Gerade mal 12 Sorten, darunter Cabernet Sauvignon, Merlot und Chardonnay, beherrschen rund 30 Prozent der Anbauflächen weltweit – in Frankreich sind es gar 79 Prozent. Dort schrumpft der Anteil alter Sorten seit Jahrzehnten. In der Schweiz zeigt sich eine etwas grössere Vielfalt. Das liegt auch daran, dass in einem Land mit Produktionskosten, die das internationale Niveau um ein Mehrfaches übersteigen, letztlich nur die Nische nachhaltigen ökonomischen Erfolg verspricht – wer hingegen nur im internationalen Sorten-Mainstream mitschwimmt, hat es schwer gegen die billigere Konkurrenz aus dem Ausland.

900 alte Sorten begutachtet
Der Genpool alter Sorten könnte sich aber auch auszahlen, wenn, etwa als Folge des Klimawandels oder der Ausbreitung eines Schädlings wie der Reblaus, die im 19. Jahrhundert einen fast kompletten Neuaufbau des Weinbaus in Europa verlangte, rasch gehandelt werden müsste. Dazu bedarf es allerdings auch einer genauen Kenntnis der alten, in Vergessenheit geratenen Rebsorten. Sie müssen gehegt, beobachtet und gepflegt werden. Vor diesem Hintergrund kann der Wert von Erhaltungssammlungen, wie sie im St. Galler Rheintal im Frümsner Sortengarten des kantonalen Staatswingets in jahrelanger Arbeit aufgebaut worden sind, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 300 alte Rebsorten werden hier angebaut. Über 900 wurden in einer systematischen Suche in der ganzen Deutschschweiz gefunden und in teils aufwendigen Verfahren bestimmt. Etwa die Hälfte waren keine historischen Sorten, die nach der Reblaus-Epidemie aus Amerika importiert wurden, einige erwiesen sich bei genauerer Betrachtung als zeitgenössisch. Die alten Sorten, von denen sich viele als Reblauben an Pfarr- oder Gemeindehäusern erhalten hatten, zeigen dennoch die grosse Vielfalt, die den Rebbau einst ausgezeichnet hatte. Die Reblaus, die Erkenntnis, dass sortenreine Weine in vielen Fällen eine bessere Qualität bringen, gezielte Züchtungen und in den vergangenen Jahrzehnten eine zunehmende Dominanz von Supermärkten im Weinhandel haben diese grosse Sortenvielfalt geglättet – und eine gewaltigen Qualitätssprung ermöglicht. Zu den sauren Tropfen von einst, denen, wie dem weissen Elbling, der Ruf anhaftete, wie Putzessig zum Polieren von Kupfer verwendet werden zu können, will niemand zurück. Modern ausgebaut, präsentiert er sich als fruchtiger Weisser mit herber Zitrusnote – durchaus viel versprechend.

weisser elbling
Weisser Elbling

Im Rebberg des kantonalen Weinguts in Frümsen im St. Galler Rheintal befindet sich die mit über 300 Sorten grösste Sammlung alter Rebsorten der Schweiz. Der Frümser Sortengarten beeinhaltet neben der Erhaltungssammlung auch eine Sammlung alter Rebsorten aus der Ostschweiz, eine Sortenschaugarten mit Wildreben und anderen Kuriositäten, eine Muscat-Sammlung und eine Bio-Sammlung. Kontakt (auch für Führungen): arca victis, Verein zur Erhaltung alter Rebsorten, Rheinhofstrasse 11, 9464 Salez, Tel. +41 (0)81 758 13 28, e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Nationale Schweizer Datenbank zu den pflanzengenetischen Ressourcen: www.bdn.ch
www.rebenpatenschaft.de: Rebsortenarchiv des Ampelographen Andreas Jung