Der Davoser Landammann Tarzisius Caviezel äussert sich im Interview zum Tourismus während des Lockdown, den Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Solidarität in der Bevölkerung während dieser Zeit.

Tarzisius Caviezel klein

Zur Person: Tarzisius Caviezel ist seit dem 1. Januar 2013 Landammann von Davos. Er lebt mit seiner Partnerin in Davos Clavadel und ist Vater von drei Kindern.

Alpenmagazin: Der Tourismus ist für Davos der grösste Wirtschaftszweig. Während der Coronakrise ist ein Grossteil des Tourismus weggefallen. Hat sich Davos in dieser Zeit neu erfunden?

Tarzisius Caviezel: Es gab keine Notwendigkeit für Davos, sich neu zu erfinden. Es ist zwar richtig, dass der Tourismus in Davos eine sehr bedeutende Rolle spielt. Aber: Der Tourismus war nie zur Gänze unmöglich oder gar verboten. Beherbergungsbetriebe waren durch die Vorschriften des Bundes nie zur Schliessung gezwungen. Es waren die reinen Restaurant- und Barbetriebe, die schliessen mussten. Auch die Nutzung privater Ferienwohnungen war während der gesamten Coronakrise möglich. Zwar entstand am Anfang landesweit der Eindruck, Gäste seien in den Destinationen nicht mehr willkommen. Dieser Sichtweise mussten wir entgegentreten, weil sie schlicht falsch war. Was wir aber klar unterstrichen, war die Erwartung, dass Gäste, wenn sie erkranken, nach Hause reisen und sich dort in Quarantäne begeben. Diese Forderung mussten wir stellen, weil wir nicht riskieren konnten, das Spital Davos zu überlasten, mit dem Resultat, dass für die Einheimischen keine Kapazität mehr vorhanden gewesen wäre.

Ausserdem hat das Thema Gesundheit in Davos seit weit über hundert Jahren einen sehr hohen Stellenwert. Das vorhandene Know how sowie die Tatsache, dass es hier nach wie vor gut ausgestattete Klinikbetriebe mit gut geschultem Personal gibt, verschafften uns eine grosse Sicherheit. Das ausgezeichnete Einvernehmen mit diesen Betrieben machte es auch möglich, dass das Spital Davos nötigenfalls auf personelle und räumliche Kapazitäten der Kliniken hätte zurückgreifen können.

Welches Konzept fährt Davos für den Moment, welches Konzept ist für die Zukunft angedacht?

Die erste Welle der Coronavirus-Epidemie ist vorbei. Wir sind in einer Phase der vorsichtigen Lockerung, ohne eine nächste Ansteckungswelle riskieren zu wollen. Der Tourismus, vor allem der Individualtourismus, kann stattfinden, das riesige Davos-activ-Programm sorgt für tolle, überraschende und – trotz Abstand – auch für persönliche Erlebnisse. Bei Grossveranstaltungen wird es dagegen noch etwas dauern. Ich bin aber nicht der Meinung, dass wir diesem Vorgehen die Bezeichnung "zurück zur Normalität" geben sollten, weil wir damit das nach wie vor vorhandene Coronavirus verharmlosen.

Was hat der Lockdown für Gewerbe und Landwirtschaft bedeutet? Was sind die Auswirkungen?

Die Auswirkungen auf die Wirtschaft, ganz besonders die Bergbahnen und den Einzelhandel, sind natürlich gross. Im Wissen darum, dass die nächste Zeit für alle nicht einfach wird, hat der Kleine Landrat gleich nach Abbruch der Wintersaison beschlossen, das Bauverbot per sofort aufzuheben. Dieses gilt normalerweise bis am Osterdienstag, um die Wintersport-Gäste vor Baulärm zu schützen. Mit der Aufhebung des Verbots gelang es, zumindest der Bauwirtschaft etwas Luft zu verschaffen. Was andere Wirtschaftszweige angeht, so waren uns als Gemeinde in den meisten Fällen die Hände gebunden.

Enttäuschend bleibt die Tatsache in Erinnerung, dass die Destinationsorganisation angesichts der Zahlen des Winters von einer Rekordsaison ausging, die dann wegen des Coronavirus gezwungenermassen abgewürgt wurde. Da ist es ein schwacher Trost, dass es zumindest gelang, einige der Mitarbeiter der Destination, die buchstäblich über Nacht nichts mehr zu tun hatten, vorübergehend bei der Gemeinde zu beschäftigen.

Wie hat sich der Abbruch der Skisaison auf den Betrieb ausgewirkt?

Das plötzliche Ende der Wintersaison hat natürlich Spuren hinterlassen. Allerdings ist es ja nicht so, dass Davos eine reine Wintersportdestination wäre. Davos ist auch im Sommer sehr attraktiv, und es wird viel dafür unternommen, die Sommerattraktivität noch weiter zu steigern. Erst vor wenigen Tagen segnete der Grosse Landrat beispielsweise den lange vorbereiteten Bau einer neuen Mountainbikestrecke am Jakobshorn ab, welche die bereits bestehenden Trails ideal ergänzen und den Stellenwert von Davos als Bike-Destination stärken wird. Ein weiterer Faktor, der nach Ansicht zahlreicher Analysten immer wichtiger werden dürfte, ist die Höhenlage von Davos. Vielen Menschen im Unterland wird es im Sommer langsam zu heiss. Bei uns sind die Temperaturen den ganzen Sommer hindurch angenehm. Diese "Sommerfrische" dürfte künftig vermehrt gesucht werden.

Ein weiteres Davoser Standbein ist das Kongresswesen. Dieses hat aufgrund von Corona einen herben Einbruch erlitten. Wir rechnen ausserdem damit, dass Traditionsveranstaltungen, die schon seit Jahren in Davos stattfinden, auch in Zukunft hier durchgeführt werden – sobald das wieder möglich ist.

Über Nacht wurde alles von 100 auf fast 0 gefahren? Wie ist die Bevölkerung damit umgegangen?

Das war für die Davoser nicht anders, als für die übrige Schweizer Bevölkerung, wobei in Davos natürlich mehr Beschäftigte saisonal arbeiten als etwa im Unterland. Zum Glück kam der Lockdown nicht auf dem absoluten Höhepunkt der Wintersaison, sondern zu einer Zeit, da die Skiferien bereits vorbei waren. Trotzdem waren zahlreiche Leute plötzlich ohne Beschäftigung, die selbstverständlich damit rechneten, noch bis zum Beginn der Zwischensaison arbeiten zu können.

Unsere Gemeinde bildete schon zu einem frühen Zeitpunkt einen Krisenstab, der sich der Probleme im Zusammenhang mit Covid-19 annahm. Es musste beispielsweise bedacht werden, dass der Sozialdienst der Gemeinde darauf vorbereitet wird, Überbrückungshilfen bereitzustellen für Arbeitnehmer, die unverschuldet und unvorhergesehen keine Arbeit und kein Einkommen mehr haben. Ein ausgesprochen schöner Effekt war die Tatsache, dass viele Beschäftigungslose bei der Gemeinde Hilfe anboten. Diese wurde vor allem zu Anfang gebraucht, nachdem die Gemeinde ein Callcenter eingerichtet hatte, bei dem sich Personen aus Risikogruppen melden konnten. Von dort wurden die Freiwilligen für Einkäufe, Botengänge oder das Ausführen von Haustieren vermittelt. Die Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft hat mich wirklich beeindruckt.