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Die Greinaebene wird seit Hunderten von Jahren vom Menschen genutzt. Breiter Widerstand machte ein kleines Wunder möglich: Der Greina blieb die Flutung zur Wasserkraftnutzung erspart.

Tausende Wanderer erfreuen sich jedes Jahr an der unberührten Natur der Plaun la Greina, wie die Greinaebene auf Rätoromanisch heisst. Obwohl der Aufstieg nicht einfach ist, finden sich in den Sommermonaten bei jedem Wetter Wanderer in der Ebene. Als ein kleines Wunder betrachten viele den kleinen Flecken Erde in den Bündner Alpen. Dabei war die Greinaebene lange Zeit in Gefahr: Bereits 1958 erhielt ein Kraftwerkskonsortium die Nutzungsrechte an der Greinaebene von den Gemeinden Vrin und Sumvitg. Die armen Berggemeinden spekulierten auf die Wasserzinsen, die zu hohen Einnahmen geführt hätten. Das Projekt wurde zurückgestellt, die beiden Gemeinden verlängerten die Konzession immer wieder. Ein 80 Meter hoher Staudamm war geplant, mit einer vorhergesehenen Jahresproduktion von etwa 150 Millionen Kilowattstunden. Der heutige landesweite Stromverbrauch liegt bei etwa 60 Milliarden Kilowattstunden – eine überflutete Greinaebene wäre für die Schweizer Stromproduktion nur ein winziger Beitrag. Auch eine Verwendung als Pumpspeicherkraftwerk hätte nur gut 75 Millionen Kilowattstunden mehr gebracht. In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts regte sich Widerstand – aus der Bevölkerung des betroffenen Gebietes, aber auch von Menschen aus anderen Teilen der Schweiz. Bald befassten sich Bundesbehörden und -parlamente mit der Greinaebene. Der damalige Nationalrat forderte bereits 1983 die Unterschutzstellung des Gebietes. Drei Jahre später schlossen sich diverse Umweltschutzverbände, vor allem aber die Vereinigung „Pro Rein Anteriur“, zu Deutsch: „für den Vorderrhein“, zur Schweizerischen Greinastiftung zusammen. Diese übernahm die Führerschaft des Widerstandes gegen das Staudammprojekt, setzte sich aber auch für eine Entschädigung der Gemeinden ein. Vrin erhält heute gut 360 000 Franken pro Jahr, um die Ausfälle zu entschädigen – diese Zahlung bildet eine der wichtigsten Einkunftsquellen für die Gemeinde. Im Herbst 1986 schliesslich beschloss das Konsortium, auf den Bau zu verzichten – nicht etwa aus Umweltschutzgründen - wirtschaftliche Überlegungen standen im Vordergrund. Es heisst, der Widerstand aus breiten Bevölkerungskreisen sowie härtere Umweltschutzgesetze hätten die Nutzen-Kosten-Rechnung entscheidend verändert und zur Aufgabe des Projektes geführt. Heute können Wanderer im Greinagebiet also wieder ungestört ihre Bahnen ziehen. Es erfreut sich grosser Beliebtheit – wer in der vergleichsweise leicht zu erreichenden Terri-Hütte am Nordrand der Hochebene übernachten will, sollte sich auf jeden Fall anmelden. An sonnigen, warmen Wochenenden ist die Hütte stets gut gefüllt, meistens sogar ausgebucht – alternativ können drei andere Berghütten auf der Plaun la Greina angesteuert werden. Früher sömmerten hier Kühe, Pferde, Ziegen und Schafe. Die Alp Motterascio besteht noch heute, im Sommer wird sie von einem Hirt, einem Käser und einem Hilfskäser betrieben. Die Tiere kommen aus dem Tessin.

Die Alp gehört den Tessiner Bürgergemeinden Aquila-Torre und Lottigna. Jahrhundertelang stritten sie sich mit der Gemeinde Vrin, auf deren Gebiet die Alp liegt, um den Besitz. 1930 wurde der Fall gar vor Bundesgericht verhandelt. Heute wird nur noch die Alp Motterascio auf der Hochebene betrieben. Andere Alpen werden in den umliegenden Gebieten aber noch ebenfalls genutzt. Eine Alp wird mit Käserei von einer Tessiner Genossenschaft betrieben, die sie jedes Jahr von der Bürgergemeinde mieten muss. Der Schriftsteller Leo Tuor, der früher seinen Lebensunterhalt als Alphirt verdiente, erzählt in seinem Buch „Giacumbert Nau“ von der Einsamkeit eines Ziegenhirten. Dieser ist kein einfacher Mensch - ein Einzelgänger, der im Konflikt zwischen seiner ärmlichen, einfachen Alphütte und der modernen Welt lebt. Doch er reflektiert eindrücklich sein handeln. Auf die Alp bringt ihn ein Helikopter, andere Alphirten bieten ihm den Blick an. Er aber lebt mit einem einfachen Gasherd in einer in eine Felsspalte gebauten Hütte und hütet, zusammen mit Hund und Katze, seine Ziegen. Er erzählt vom kulturellen Reichtum der Gegend, von Schutzheiligen, von alten Geschichten. Eine handelt beispielsweise von der Pferdesömmerei auf der Greina, die zwei Brüdern gehörte. Sie verkauften die Alp und wurden über den Tisch gezogen. Der Käufer aber spukt zur Strafe seit seinem Tode auf einem schwarzen Hengst bis heute durch die Ebene, und jeder, der ihn sieht, stirbt innert einen Jahres. Wanderer schreckt man mit solchen Geschichten nicht ab. Zu Hunderten ziehen sie an sonnigen Sommertagen herauf und schlendern nach erfolgreichem Aufstieg dem mäandernden Rein da Sumvitg entlang. Städter erfreuen sich an der unberührten Natur, Einheimische kehren zurück zu den mythischen Stätten ihrer Vorfahren. Seit wenigen Jahren existiert das Busangebot „Bus Alpin“, das je nach Route bis zu drei Stunden Wanderung abnimmt. An weniger belebten Tagen wird die Ebene von einer Stille beherrscht, die nur durch das Rauschen der zahlreichen Bäche unterbrochen wird. Über Trampelpfade kann man da gehen, über Alpwege, über Wiesen, durch Bäche und über Brücken. Man merkt, hier ist das Hochgebirge. Der Bus fährt auf der bündner Seite bis Puzzatsch und Runcahez auf der Tessiner Seite bis Pian Geirett und Luzzone. Er ist hier das letzte oder je nach Sichtweise erste Zeichen der Zivilisation in der Natur. Selbstverständlich gibt es auch hier Handyempfang und in den Tälern weiter unten machen sich Grossverteiler und Discounter breit. Das Bild des altertümlichen, einfachen, ärmlichen Berglers ist überholt. In den Dörfern um die Greine herum leben Menschen wie überall sonst auch – ausser, das sie einer Leidenschaft nachgehen, die in den grossen Städten weniger verbreitet ist: der Jagd. Doch am Rande der kleinen Gemeinden beginnt die Wildnis, die Natur, mit der die Menschen koexistieren. Hier wird nicht gegen, sondern mit der Natur gearbeitet. Nur kleine Eingriffe geschahen hier – Trampelpfade, Alp- und Berghütten. Und diese ist einzigartig. Hier kann die Seele entspannen, einzig der Körper ist gefordert. Oftmals wird das Plaun la Greina die Tundra der Alpen genannt. Tatsächlich handelt es sich um ein Flachmoor, die Vegetation ist ähnlich den subpolaren Gebieten. Es handelt sich aber viel mehr um ein einzigartiges Biotop, besser gesagt: ein Netz aus einzigartigen Biotopen. Doch schon seit langem sind auch Menschen präsent.

Bereits die Römer benutzen das Gebiet als Alpenpass, ab dem Jahre 20 nach Christus gibt es hierfür Belege. Später wurde die Ebene als Alp genutzt, und heute ist es vor allem ein touristisches Erholungsgebiet. Statt Massentourismus wie in anderen Bergtälern setzt man hier auf nachhaltige Angebote. Die Bevölkerung will das Gebiet selber schützen. Mag sein, dass sie Finanzhilfe durch den Bund da etwas nachhilft. Der Crap la Crusch, ein Pass am südlichen Ende der Hochebene, hat eine besondere Rolle. Er ist die Wasserscheide. Zusätzlich liegt hier aber auch eine sprachliche und politische Grenze. Vom Piz Gaglianera herunter fliesst der Rein da Sumvitg, der durch die Greinaeben mäandert und schliesslich mit vielen anderen Bergbächen den Vorderrhein formt. Die Wasser begrüssen bei Bonaduz den Hinterrhein und fliessen schliesslich bei Rotterdam in die Nordsee. Im Süden fliesst das Wasser in den Lago di Luzzone, einem Stausee, der bereits 1963 gebaut wurde und wohl als kleiner Bruder eines möglichen Greinastaubeckens gedacht war. Die 225 Meter hohe Staumauer dient gleichzeitig als längste künstliche Kletterroute der Welt. Durch drei Kraftwerke fliesst das Wasser in den Tessin, später in den Po und schliesslich in die Adria. Doch nicht nur das: Im Norden liegt der Kanton Graubünden mit seinen rätoromanischen Dialekten, im Süden der italienischsprachige Tessin. Hinzu kommt eine geologische Grenze: Der Wanderer wechselt vom Bündner Schiefer auf Trias-Karbonate. Zwar ist auf der Greina die Jagd heute schon verboten, doch in den umliegenden Gebieten ist in den Herbstmonaten so mancher Schuss zu hören. Zudem scheuchen in den Sommermonaten Wanderer das Wild beständig auf. Andere lassen Abfall liegen: Müll und Lärm - urbane Probleme exportiert in die Bergwelt. Eine nicht zu übersehende Ambivalenz: Stadt trifft Bergwelt, Natur trifft Technik. Die Menschen in den Bergtälern kennen sie schon längst, doch auch Schutzgebiete scheinen nicht verschont zu werden. Andererseits hat, wer sich den richtigen Tag aussucht, die Plaun la Greina fast für sich alleine. Regnerische oder bewölkte Tage ziehen viel weniger Menschen in die Höhe, und die Ebene bietet bei jeder Witterung ihre Reize dar. Besonders geschätzt werden übrigens Nebelschwaden. Und die sieht man dann, wenn keine Massen in der Greina schlendern.

Wandern
Grundsätzlich gibt es auf die Greina fünf Zugänge. Beschrieben ist hier eine zweitägige Wanderung von Vrin im Osten zur Terrihütte und am nächsten Tag nach Rabius-Surrein im Norden. Von Vrin aus kann die Greina über ein Seitental bestiegen werden. Nach etwa einer Stunde Fussmarsch ist man im Weiler Puzzatsch angelangt, wohin im Sommer auch der Bus Alpin fährt. Voranmeldung ist aber notwendig. Von Puzzatsch führt der Weg über die Alp Diesrut an der Nordflanke des Tales hinauf zum Pass. Im Sommer liegen hier manchmal noch letzte Schneefelder, weshalb auch wärmende Kleidung zur Ausrüstung gehören sollte. Oftmals bläst auch ein starker Wind. Der Blick von der Passhöhe über die Greinaebene ist die Anstrengung wert. Nach einem steilen Abstieg und einem kurzen Anstieg ist die Greinahütte am Nordende der Ebene erreicht. Die gesamte Wanderung benötigt von Vrin aus etwa 5 Stunden. Nach der Übernachtung in der gastfreundlichen Terri-Hütte geht es nach Norden, vorbei am Wasserfall des Rein da Sumvitg zur Alp Val Tenigia und weiter zum Stausee Runcahez, der in 3 Stunden erreichbar ist. Ab hier wird am Wochenende ein Busservice angeboten, zu Fuss sind es bis ins Tal nach Rabius-Surrein nochmals 3 Stunden. Je nach Zeitbudget kann vor und nach der Übernachtung in der Greinaebene spaziert werden.

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