Das Lesachtal verbindet Kärnten und Tirol. Hier gibt es keine Seilbahnen, keine grossen Hotels und keinen Massentourismus - dafür viel unverschandelte Natur und Ferien beim Bauern.
Als 1958 erstmals elektrisches Licht die Wohnstube des Peintnerhofes erleuchtete, änderte das nichts Wesentliches am Alltag der Familie Unterguggenberger, die den Hof im Weiler Niedergail im Lesachtal schon in siebter Generation bewirtschaftete. Die dreieinhalb Hektaren Land, sieben Hektaren Wald und zweieinhalb Hektaren Bergwiesen reichten aus für ein karges, hartes Leben als reine Selbstversorger. Tourismus war damals noch ein Fremdwort im Tal, das in Ost-West-Richtung Kärnten und Tirol verbindet. Die ersten "Sommerfrischler", die im selben Jahr zu Gast weilten auf dem Peintnerhof, waren hochwillkommen, eröffneten sie doch eine neue Perspektive, die die Familie danach konsequent verfolgte. Ein Jahr später wurde die Verbindungsstrasse eröffnet, und endlich musste nicht mehr ein einstündiger Fussmarsch in Kauf genommen werden, um nach Niedergail zu gelangen. Pauline und Franz Unterguggenberger haben den Hof 1968 übernommen und das riesige dreistöckige Gebäude sukzessive mit Fremdenzimmern ausgestattet. Fast unglaublich, dass das Bauernhaus, das in jedem Winkel alte Geschichten erzählt, erst Anfang der 50er Jahre gebaut wurde - in dem typischen Südtiroler Baustil, wie er seit Jahrhunderten im Lesachtal gepflegt wird. 1992 wurde ein Neubau mit sechs komfortablen Ferienwohnungen fertiggestellt. Er machte den zunehmenden Platzproblemen ein Ende machte. Die Arbeit auf dem Hof erledigt Franz Unterguggenberger heute mit maschineller Hilfe fast alleine. Die sechs Kinder sind erwachsen, und er wird in drei Jahren den Betrieb an seine Tochter Andrea übergeben.
Neues Leben
Ob es den Peintnerhof in dieser Form ohne die Touristen heute noch gäbe, ist mehr als fraglich. Mit der Landwirtschaft alleine ist ein Auskommen völlig unmöglich - in Kombination mit dem Fremdenverkehr hingegen nicht mehr wegzudenken. Denn was wären "Ferien auf dem Bauernhof" ohne Kühe, Katzen und frische Lebensmittel? Dass dazu noch ein hübscher Spielplatz kommt, macht das Vergnügen perfekt. Ueber 40 Familien, die meisten mit Kindern, zählen heute zu den Stammgästen auf dem Peintnerhof, und im Sommer, wenn Hochbetrieb herrscht, ist das Haus von soviel Leben erfüllt wie seinerzeit, als hier ganze Generationen mitsamt Gesinde lebten. Viele Bauern im Tal sind dem Beispiel der Familie Unterguggenberger gefolgt, und heute haben die meisten Betriebe im Tal mit seinen 1700 Einwohnern auch Betten für Gäste zur Verfügung - insgesamt rund 1200. "Unser Kapital ist die unberührte Natur," sagt Franz Unterguggenberger, "daran wollen und dürfen wir nichts verändern."
Beliebtes Wanderziel im Lesachtal: Der Wolayersee (Bild: pd)
Viel hat sich - zumindest im Vergleich mit andern Regionen - nicht verändert seit den 50er Jahren. Selbst die Anfahrt ins Tal auf einer zum Teil extrem schmalen Strasse ist für Ungeübte strapaziös, und Unterguggenberger muss zuweilen die Flachländer zuerst davon überzeugen, dass es auch ein Leben mit schlechten Strassen gibt - und leider auch mit einem öffentlichen Verkehr, der sich auf wenige Busse pro Tag beschränkt. Was heisst: Wer im Lesachtal Ferien macht, kommt ums Auto kaum herum. Dennoch trägt die ‚Äûumweltfreundlichste Alpengemeinde Europas" (siehe Kasten) den Titel vollauf zu Recht. Das gilt auch für die touristischen Aktivitäten im Tal: Im Vordergrund steht das Wandern, wo es für jeden etwas gibt. Sanfte Bergwiesen wie auf der Samalm, knackigere Aufstiege auf die Berge der Karnischen Alpen an der italienischen Grenze und gar für Bergsteiger diverse Gipfel in den Lienzer Dolomiten. Erholen kann man sich von den Strapazen im kleinen, aber feinen Tuffbad oder im Erlebnisbad in Liesing. Sportliche schwingen sich aufs Bike oder raften die Gail herunter - den wilden Fluss, der das Tal in zwei Hälften teilt. Kulturell Interessierte kommen vor allem in Maria Luggau auf ihre Rechnung, das als Pilgerort weitherum bekannt ist. Doch wer sich einmal auf das Lesachtal eingelassen hat, ist schon bald bereit, loszulassen und sich zu befreien vom Ferienaktivismus, wie er an vielen andern Orten herrscht. Das heisst sich freuen an einem Stück intakter, unverschandelter Natur oder einfach zuschauen, wie sich die Kinder mit den beiden süssen Hofkatzen amüsieren.
Aus der Not eine Tugend gemacht
(fi) Noch in den 1970er-Jahren geisterten im Lesachtal Pläne in den Köpfen Einheimischer herum, Liftanlagen zu bauen, um vor allem den Wintertourismus anzukurbeln. Die Projekte scheiterten am mangelnden Geld und Gewinnperspektiven. Entsprechend gibt es im Lesachtal nicht nur keine einzige Seilbahn, sondern auch nicht eine grosse Hotelanlage. Das schwer zu erreichende Tal hat einfach kein Hinterland für den Massentourismus. Was damals noch da und dort Bedauern auslöste, erwies sich seit den 80er Jahren mehr und mehr als Segen. "Sanfter Tourismus" wurde in - und für die Bauern, die meist nur wenige Hektaren Land bewirtschaften, entwickelte sich der Fremdenverkehr zur willkommenen Ergänzung und da und dort - so auch bei Unterguggenbergers - gar zur wichtigsten Einkommensquelle. Ende der 80er Jahre stellten die Lesachtaler die Weichen schliesslich ganz bewusst auf Oeko-Tourismus und erklärten ausdrücklich ihren Verzicht auf jegliche Grossbauten. Seither ist selbst die maximale Geschosszahl bei Neubauten auf zwei beschränkt. Die meisten Landwirte haben auf Bio-Produktion umgestellt. Den Lohn und internationale Anerkennung ernteten die Lesachtaler 1991, als sie auf der Ferienmesse in Stuttgart den Titel "umweltfreundlichste Alpengemeinde Europas" erhielten, und 1995, als die Naturfreunde Europas das Lesachtal zur "Landschaft des Jahres" kürten. Die Gästezahl ist trotz dieser Auszeichnungen leicht rückläufig und pendelt sich bei jährlich 110'000 ein - mit einem eindeutigen Schwergewicht im Sommer, während der Wintertourismus praktisch bedeutungslos ist.
Tipps:
Anreise: Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Lesachtal nur schwer zu erreichen. Am besten mit dem Nachtzug nach Villach und dann mit der Bahn bis Koetschach-Mauthen. Von dort fahren täglich vier Busse ins Tal. Mit dem Auto Anreise über Brenner und das Tiroler Gailtal.
Unterkunft: Am schönsten wohnt es sich auf einem der vielen Bauernhöfe im Lesachtal. Die Bauern lassen sich dabei gerne bei der Arbeit über die Schulter schauen.
Wandertipp: Die Eduard-Pichl-Hütte zählt zu den schönsten der Gegend, und ist von verschiedenen Punkten aus bequem in zwei bis drei Stunden Aufstieg erreichbar. Besonders schön ist der Weg durchs Wolayertal. Dass an der österreichisch-italienischen Grenze eine der bizarrsten Frontlinien des ersten Weltkrieges verlief, lässt sich schon am Stacheldraht erahnen, der da und dort nur wenige Meter abseits des gut ausgeschilderten Wanderwegs noch herumliegt. Ein Museum in Kötschach-Mauthen vermittelt eindrücklich den Wahnsinn dieser Zeit. Umso schöner, dass grenzüberschreitend aus dem ehemaligen Kriegssteig an der Frontlinie ein Friedenssteig, der karnische Höhenweg, geworden ist.