Er erzählt mit klar lesbaren Bildern und in leuchtenden Farben die Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau. Und er berichtet auch von der Vergangenheit Tirols: Der Altar von Schloss Tirol (1370/72). Seit 1938 im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck beheimatet, präsentiert er sich dort seit Februar 2017 neu in einem eigenen Raum. Parallel dazu wird er wissenschaftlich vermessen, geröntgt und befragt. Die so gewonnen Erkenntnisse liefern die Basis, um das Artefakt ab 2020 fachgerecht zu konservieren undab zu restaurieren. Damit sich auch noch kommende Generationen an diesem außergewöhnlichen Kunstwerk erfreuen können.
Der Altar von Schloss Tirol wird seit Februar 2017 im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck neu präsentiert. Dazu wurde von Claudia Mark in Zusammenarbeit mit Christian Höller und Günter R. Wett ein neuer Ausstellungsraum mit einladender, wichtiger Sitzgelegenheit (!) für die Betrachter erschaffen (http://christianhoeller.com | http://guenterrichardwett.com). Foto: Günter R. Wett.
Welcher Altar Tirols? Nun, der Altar Tirols ist bekanntlich ein Berg zwischen dem Stubaital und Wipptal: die Serles. Aber es gibt noch einen zweiten Altar, der aufgrund seines Alters und seiner Herkunft für Tirol höchst bedeutend ist: Dieses religiöse Kunstwerk entstand 1370/72 für die Kapelle der landesfürstlichen Residenz Schloss Tirol über Meran, stand dort bis 1806 und wird deshalb „Altar von Schloss Tirol“ genannt. Er gilt als der älteste Flügelaltar des Alpenraums.
Der älteste Flügelaltar des Alpenraumes, der Altar von Schloss Tirol (1370/72), präsentiert sich neu aufgestellt im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck. Unter der Leitung von Claudia Mark wird das singuläre Werk wissenschaftlich neu befragt. Foto: TLM.
Profaner Thron & sakrales Werk. Gestiftet wurde das Kunstwerk von den Habsburger-Herzögen Albrecht III. und Leopold III., die damit die seit 1363 bestehende Verbindung Tirol-Habsburg auch in sakraler Form vor Augen führen wollten. Die Herzöge und ihre Gemahlinnen sind in gemalter Form auf den Außenseiten der Flügel präsent. Religion und Kirche verbinden sich so mit Politik, Dynastie und Herrschaft zu einem klar lesbaren, daher verständlichen Monument.
Thron & Altar: Die Malereien auf den Außenseiten der Flügel stellen die Stifter des Altars, die Habsburger-Herzöge Albrecht III. und Leopold III., sowie deren Gemahlinnen dar. Foto: TLM.
Gesamt-Tirol. Auch 2017 repräsentiert der Altar beide Tiroler Landesteile: Aus dem heutigen Südtirol gelangten bereits 1826 Teile des Altars ins Ferdinandeum. Ab 1828 schmückte die gotische Kostbarkeit auf Wunsch von Stift Wilten die St.-Bartholomäus-Kapelle in Innsbruck-Wilten, um 1938 wieder ins Tiroler Landesmuseum zurückzukehren. Dort war Vinzenz Oberhammer (1) Kustos.
1939.1942: Bezugsscheine für Gold. Ein Jahr später, 1939, wurde der Altar nach München, in die Alte Pinakothek zur Restaurierung transferiert. Nach der Entfernung von Übermalungen (u. a. einer „Bluse“ des 19. Jaaahrhunderts, die die Nacktheit der zentralen Protagonistin verdeckte), konnte der Altar erstmals datiert werden. Nicht nur dadurch stellte sich die Erkenntnis ein, dass es sich um ein solitäres Werk handelt. Warum gerade in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges der Altar von Schloss Tirol restauriert wurde, bleibt fraglich. Jedenfalls war die Konservierung des „deutschen Kulturgutes“ – für die auch Bezugsscheine für Gold notwendig gewesen waren – am 21. Mai 1942 abgeschlossen. Der Altar wurde in drei Kisten verpackt wieder nach Innsbruck zurückgeschickt. Dort überstand das singuläre Werk eingelagert im Schloss Ambras heil die Bombardierungen der Stadt.
Gold-Ikone. Nicht nur aufgrund der genannten historischen Tatsachen ist der fragile Altar eine leuchtende Ikone der Tiroler Kunstgeschichte. Denn auch der Hintergrund der gemalten Darstellungen auf den Vorderseiten der Flügel leuchtet göttlich golden. Die heiligen Szenen selbst sind in wenigen Farben gehalten – Rot, Blau, Grün – aber diese strahlen intensiv wie Edelsteine.
Gotische Kirche in Miniatur. Wie die Serles ist auch der Altar von Schloss Tirol dreiteilig: Der mittlere Schrein wird von zwei Flügeln flankiert. Deren obere Silhouetten erinnern durch Wimperge und Fialen an die Fassade einer gotischen Kirche – ebenso der zentrale „Turm“ über dem Schrein. Insgesamt funkelt das rare Werk geheimnisvoll in einem schwarz ausgemalten Museumsraum. Und braucht eigentlich nur noch eines: Menschen, die sich ihm nähern und ihn betrachten.
Leuchtend: Die Farben der Malereien auf den Flügeln des Altars leuchten wie Edelsteine im schwarz ausgemalten Ausstellungsraum. Dieser wurde von Claudia Mark in Zusammenarbeit mit Christian Höller und Günter R. Wett erdacht und sehr ansprechend, besucherfreundlich realisiert. Foto: Christian Höller.
Rückblick? Diese Betrachter blicken Jahrhunderte zurück, in eine völlig andere, da mittelalterliche Welt, in der das Heilige eine ganz andere Bedeutung hatte. Sechs Altarbilder erzählen das Leben einer besonderen Frau, der ein geflügeltes Wesen mit Urkunde und Siegel die Geburt eines Ausnahme-Sohnes ankündigt. Dieser ist hinter einer weißen Taube bereits als kleines Knäblein im „Anflug“. Genau, es geht um die Lebensgeschichte der Gottesmutter Maria!
Im Anflug: Gottvater schickt das Jesuskind zu Maria, die Taube des hl. Geistes fliegt voraus und weist den richtigen Weg. Foto: TLM.
Mariens Bettwäsche & Bücherschrank. Aber die Malereien stellen nicht nur heiliges Geschehen vor. Sie erzählen auch detailreich vom profanen Leben der Menschen um 1370. Etwa wenn sie zeigen, welche Muster die damalige Bettwäsche aufwies. Und sie lassen sogar einen Blick in Mariens Bücherschrank zu. Dabei kommt alles angenehm natürlich, menschlich daher. So ruht Maria ganz selbstverständlich nach der Geburt Jesu auf einer Liegestatt aus. Ihr Haupt stützt ein Polster mit blau-weiß-kariertem „Tiroler“ (oder gar „bayerischem“?) Bezug. Und: der Oberkörper Mariens ist nackt! Denn die heilige Frau hat wohl gerade dem Jesuskind die Brust gereicht, während der hl. Joseph ein Schläfchen macht.
Maria ist müde nach der Entbindung – und liegt. Eigentlich ganz selbstverständlich. Klar auch, dass das Heilige Kind gestillt werden musste. Foto: TLM.
Königlicher Besuch. Dann bringen drei Könige in Rot goldene Gaben. Ihre Entourage ist in Grün gekleidet, die gotisch schlanke Madonna hingegen in Blau gehüllt. Farbenprächtig ist daher diese Szene – und gleichzeitig einfach ungeheuer lieb: das Heilige Kind liegt nackend und bloß, während sein Nährvater ganz bescheiden im Hintergrund über offenem Feuer eine Mahlzeit zubereitet (mit der auch die Könige gelabt werden sollen?).
Und Joseph kocht: Warum nicht? Im Vordergrund die König in Rot, mit goldenen Kronen am Haupt. Foto: TLM.
Ende & Anfang. Der Tod Mariens im Kreis der Apostel beendet nur ihr Sein auf dieser Welt. Denn ihre Seele – dargestellt als nacktes Kind – wird von ihrem Sohn liebevoll in Empfang genommen, während ein Apostel mit Hilfe einer Nietbrille (!) Sterbegebete in einem Buch liest.
Am Ende ihres irdischen Seins ist Maria nicht allein. Foto: TLM.
Apostolische Sehhilfe: Einer der Apostel rund um das Sterbelager Mariens liest mit Hilfe einer zwickerförmigen Nietbrille. Die Darstellung dieser Sehhilfe gilt als eine der ältesten in Europa. Foto: TLM.
Am Anfang ihres Lebens nach dem Tod wird Maria von ihm Sohn gekrönt. Damit endet nur die Bildergeschichte am Altar von Schloss Tirol. Foto: TLM.
Schlusspunkt ist jedoch ist die Krönung der Mutter durch ihren Sohn – und damit ihre Aufnahme in den Himmel. Generationenprojekt. Wir wissen schon alles über diesen Altar? Keineswegs! Es gibt viel zu entdecken am Altar. Nicht nur für uns, sondern auch für die Wissenschaft, die unter der kompetenten Leitung von Frau Claudia Mark, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ferdinandeum für Kunst bis 1900, den Altar befragen wird. Ein bereits im April 2016 gestartetes Forschungsprojekt soll mit Hilfe modernster kunsttechnologischer Untersuchungsmethoden neue Erkenntnisse liefern, aber auch den Austausch mit internationalen Experten anregen. So vorbereitet, kann die für 2020 geplante Restaurierung auf neuestem Wissensstand durchgeführt werden. „Die Ergebnisse des Forschungsprojektes werden im Ausstellungsraum nach und nach Spuren hinterlassen“, freut sich jetzt schon Claudia Mark. Parallel wird auch ein Blog laufend über den Fortgang der Forschungen berichten. Interessierte können sich dort mit Kommentaren einbringen (http://altar.tiroler-landesmuseen.at).
Erfrischend. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein. Betrachten kann man den Altar schon jetzt. Und so heute, aber auch noch morgen vom Schicksal einer besonderen Frau erfahren. Ganz ohne sentimentalen Zuckerguss! Denn selten wurde das Leben Mariens so lebensnah und erfrischend dargestellt. Daher: gehen Sie ins Museum und machen Sie sich selbst ein Bild!
(1) Vinzenz Oberhammer, Innsbruck 1901 – 1993 Wien; 1938 bis 1954 Kustos am Museum Ferdinandeum, ab 1955 Erster Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien.
TIROLER LANDESMUSEUM FERDINANDEUM
Innsbruck, Museumstraße 15
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 9:00 bis 17:00 Uhr
www.tiroler-landesmuseen.at
Zum Autor DR. HELMUTH OEHLER:
www.helmuth-oehler.at
www.facebook.com/people/Helmuth-Oehler/100012861840674