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Hochwasserschutz beschränkt sich nicht auf den Dammbau entlang von Strömen und Flüssen. Er beginnt schon viel früher. Dort wo es häufig regnet: In den Bergen. Dort sind die Gewässer zwar noch kleiner, dafür das Gefälle grösser. Unter dem Strich gibt es deshalb auch in den Alpenregionen ein grosses Gefährdungspotential.

 Mit hübschen Fresken sind die Fensterrahmen des Wohnhauses im Ortsteil Godin in Pontresina verziert. Den Fenstern vorgelagert ist 30 Millimeter dickes, dreischichtig verklebtes Panzerglas. Das grün schimmernde Glas muss einen Druck von drei Tonnen pro Quadratmeter Glas aushalten. Es ist der Druck gewaltiger Schneemassen. Ausgelöst werden solche Lawinen an den aus dem Tal gut sichtbaren, steilen Hängen unterhalb der Segantini-Hütte. Sie donnern mit bis zu 200 Stundenkilometern durch zwei extrem steile Rinnen hinunter und holen dabei so viel Schwung, dass sie trotz des rasch flacher werdenden Geländes im schlimmsten Fall bis in den Talgrund vordringen.

Mit technischen Massnahmen versuchen Menschen, Wassermassen von dort fern zu halten, wo sie Menschenleben oder Kulturobjekte zerstören könnten. Mächtige Dämme entlang von Fliessgewässer zu bauen, ist zwar einfach, aber auch teuer. Nicht weniger billig und oft eine grosse Herausforderungen an die Ingenieure sind Schutzmassnahmen in Bergregionen. Denn dort werden die Menschen gleich dreifach bedroht: Von Lawinen, Steinschlag und Murgängen, die eine Mischung aus Wassermassen, Erde und Geröll sind, die ins Tal rutschen.
1976 erreichte eine Lawine letztmals das Gebäude, in dem sich das Büro des Bauingenieurs Dino Menghini befindet. Aber: „Niemand kann das Ausmass eines Lawinenabgang präzise vorhersagen“, sagt Menghini. Gerade deshalb sei grösste Vorsicht am Platz.
Es braucht Verstärkungen: Panzerglas vor den Fenstern, dicke Mauern, die als „Lawinenfang“ Haustüren schützen oder Erdaufschüttungen vor den bergseitigen Wänden, die einer Lawine die grösste Wucht nehmen. Menghini arbeitet im Dienste der Gebäudeversicherung Graubünden. Zu ihren Händen erlässt er die Auflagen, mit Verstärkungen die Gebäude so zu sichern, dass sie auch der schlimmsten hier zu erwartenden Lawine standhalten können. Die Risikoabschätzung ist im Kanton Graubünden Aufgabe der aus unabhängigen Fachleuten zusammen gesetzten Gefahrenkommissionen. Viel Physik steckt dahinter, mathematische Gleichungen, dazu die Erfahrung aus der Naturbeobachtung. Das Ergebnis ist eine Annäherung an die Katastrophe, wie sie, was letztlich niemand hofft, eintreten könnte. Die Unabhängigkeit des Gremiums ist unabdingbare Voraussetzung für dessen Arbeit. Es sind zwei Interessenssphären, die es auszuklammern gilt. Jene der Grundeigentümer und jene der Gebäudeversicherung. Wer ein Haus in einer gefährdeten Zone bauen will, hat, verständlicherweise, keine Freude an den Auflagen, etwa, wenn das Gebäude auf einen Sockel gestellt werden muss, weil es in einem potentiellen Überschwemmungsgebiet liegt. Mehrkosten, aber auch eingeschränkte architektonische Gestaltungsmöglichkeiten werden moniert. Anderseits kann es nicht Aufgabe der in der obligatorischen Gebäudeversicherung zusammengefassten Allgemeinheit sein, überproportional hohe Risiken mitzutragen. Der Kanton Graubünden überträgt wie 19 der 26 Schweizer Kantone die Gebäude-Versicherungspflicht an die staatseigene Gebäudeversicherung. Etwa 4'000 der 150'000 Gebäude im Kanton Graubünden liegen in der blauen, cirka 700 sogar in der roten Zone, in der eigentlich ein Bauverbot herrscht. Es handle sich um Häuser, die schon vor dem Erlass schärferer Bestimmungen erbaut wurden.
Muren und Schlammlawinen haben ein riesiges Zerstörungspotential. Zwei s-förmig angelegte Dämme mit einem Bach-Durchgang in der Mitte, 13 Meter hoch, bis zu 67 Meter breit und 230 Meter lang, sollen in Pontresina davor schützen. Der Schafberg oberhalb des Dorfes ist nicht mehr als eine Ansammlung von Geröll, das zusammengehalten wird von der Kraft gefrorenen Wassers: Permafrost. Doch er beginnt zu schmelzen. Am 3303 Meter hohen Corvatsch, einem markanten Engadiner Skiberg, wird die Temperatur im Permafrost in verschiedenen Tiefenstufen seit 1987 kontinuierlich gemessen. Der Trend ist klar: Es wird wärmer. Damit droht ein Gleichgewicht aus den Fugen zu geraten, das an extremen Stellen wie am Schafberg das Tal jahrtausendelang vor einer Naturkatastrophe bewahrt hat. Starkniederschläge im Sommer könnten im aufgeweichten Untergrund Muren auslösen, die im schlimmsten Fall grosse Teile von Pontresina unter sich begraben hätten.

Einen solchen Murgang hat auch das Walliser Dorf Gondo im Jahr 2000 erlebt. Das Dorf ist zwar wieder aufgebaut, doch erholt haben sich die Menschen nicht wirklich. Im Jahr 2000 lebten hier noch 120 Einwohner. 2007 waren es noch 70. Die Schule ist inzwischen geschlossen worden. Denn in Zeiten des Klimawandels wird das Leben in den Bergen nicht unbedingt sicherer. 


Scheinbare Normalität, aber nichts ist, wie es war: Gondo.

Schmelzender Permafrost und das schon 150 Jahre andauernde Abschmelzen der Gletscher sind nur eine Folge der Klimaveränderung im Alpenraum. Noch weit gravierender könnte eine Veränderung der Niederschläge sein, wie sie im Expertenbericht des International Panel on Climate Change (IPCC) für den Alpenraum prognostiziert wird. Gerechnet wird mit rund 10 Prozent mehr Wasserabfluss auf der Alpennordseite, während auf der Südseite die Starkniederschläge deutlich zunehmen dürften. Häufigere Hochwasser und Erdrutsche sind eine mögliche Folge. Ob die verheerenden Hochwasser vom August 2005, die im ganzen Alpenraum grosse Schäden anrichteten, schon eine Folge der Klimaveränderung sind, kann heute niemand mit letzter Sicherheit beantworten. Die Unwetterschäden, die 2005 im ganzen Kanton mit 24,11 Millionen Franken das Vierfache eines durchschnittlichen Jahres erreichten, zeigen auch: der dramatischen Landschaftswandel, die intensivere Besiedlung auf einst wertvollem Bauernland, lässt das Schadensrisiko ansteigen. Der Mensch gestaltet die Natur, er macht sie zur Kulturlandschaft – auch im Alpenraum. Er baut auf, er zerstört, oder er lässt zerfallen, was nicht mehr benötigt wird.


Wandern auf dem Klimaweg
Der Klimawandel ist nicht nur ferne Zukunftsprojektion, er findet statt, schon heute. Das lässt sich auf dem Klimaweg sehr anschaulich erfahren. Auf 18 Tafeln werden die sichtbaren Veränderungen anschaulich erläutert. Der Weg führt von der Bergstation Muottas Muragl über den Schafberg zur Alp Languard, wo man mit der Sesselbahn ins Tal nach Pontresina gelangt. Unter www.klimaweg.ethz.ch lässt sich der Klimaweg auch virtuell erkunden. Wanderzeit 3 ½ Stunden, Schwierigkeitsgrad mittel.

 

 

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