Seit 2012 lebt im Taminatal und im angrenzenden Calanda-Gebiet ein Wolfsrudel. 30 junge Wölfe haben hier schon das Licht der Welt erblickt. Angesichts der Nähe zu den Siedlungen leben Mensch und Wolf nach anfänglichen Irritationen erstaunlich friedlich zusammen.

taminatal
Das hintere Taminatal: ein ideales Wolfsrevier

«Die Frage nach einem idealen Lebensraum für den Wolf erübrigt sich. Die Wölfe suchen sich selbst ihren Platz. Und hier im Taminatal haben sie ihn gefunden». Der Wildhüter Rolf Wildhaber zeigt auf ein Felsband im hinteren Taminatal. «Dort hat das Wolfspaar M30 und F07 im Jahr 2012 ein Wolfsrudel begründet.» Es war der erste Schweizer Wolfsnachwuchs seit eineinhalb Jahrhunderten. Wo genau die Stelle liegt, verschweigt Wildhaber. Aus guten Gründen. Die Wölfe sollen unter sich bleiben, und das wäre, wenn bekannt würde, wo sie ihre Jungen aufziehen, alles andere als garantiert. 30 Wölfe hat das Wolfspaar im Taminatal (und im benachbarten Calanda-Gebiet) aufgezogen, deren acht alleine im Jahr 2017.
Von der Westflanke des Chimmispitz aus zeigt sich das in Nord-Süd-Richtung verlaufende Tal schroff, beinahe abweisend, mit steilen, unzugänglichen Felsflanken, die der namensgebende Fluss seit dem Ende der letzten Eiszeit herausgeschnitten hat. Erst oberhalb der Waldgrenze wird das Gelände bis nahe an die Gipfel etwas flacher, herausgehobelt von mächtigen Gletschern. Doch das wird das Wolfspaar nicht interessiert haben, als es hier den Bund fürs Leben schloss. Beide stammen, wie genetische Untersuchungen gezeigt haben, aus Italien. Sie sind, wie es bei Wölfen üblich ist, im jungen Erwachsenenalter (Wölfe werden erst im dritten Lebensjahr geschlechtsreif) aufgebrochen, um neue Lebensräume zu erkunden, mit der Hoffnung, ein eigenes Rudel zu begründen. Die Männchen lassen es in ihren Lehr- und Wanderjahren stets etwas schneller angehen als die Weibchen. Unabhängig vom Geschlecht sind die Überlebenschancen eher gering. In der Schweiz gelang der erste Wolfsnachweis schon im Jahr 1996, und es war klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis es zu einer ersten Rudelgründung kommt. Männiglich hatte mit dem Kanton Wallis gerechnet, wo die meisten Wölfe aus dem benachbarten Aostatal zuwandern. Doch manche Wölfe zogen weiter. Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Junge Wölfe aus dem Rudel aus dem Taminatal (meist als «Calanda-Rudel» bezeichnet) haben sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut, bis Bayern und ins Trentino reichen ihre Spuren. Doch der Zufall wollte es, dass sich M30 und F07 im Taminatal im Sommer 2011 das erste Mal begegneten und Gefallen aneinander fanden. Es hätte auch irgendwo anders in den Schweizer Alpen sein können. Experten meinen, hier und im Jura hätte es Platz genug für 20 Wolfsrudel. Aktuell sind es mit dem Calanda-Rudel deren drei, ein weiteres im Kanton Tessin und eines im Kanton Wallis.

250 Quadratkilometer Reviergrösse
Doch was macht das Taminatal so geeignet? «Es gibt hier viel Platz, wenige Menschen und viel Wild,» erklärt Rolf Wildhaber. So einfach ist das. 250 Quadratkilometer umfasst das Revier des Rudels. Es reicht damit über die Grenzen des Taminatales hinaus. Für die sehr mobilen, leichtfüssigen Wölfe ist es ein Leichtes, diesen immensen Lebensraum zu nutzen. Relativ stationär sind sie nur in den ersten Monaten nach der Geburt der Jungen. Danach folgen sie primär ihrer Hauptbeute, den Rothirschen, die sich wiederum am vorhandenen Nahrungsangebot orientieren. Vor allem Jäger hatten befürchtet, die Hirschbestände würden dramatisch einbrechen. Doch das hält sich, wie Rolf Wildhaber beobachtet, in recht engen Grenzen. Er schätzt den durch Wölfe verursachten Bestandesverlust auf zehn Prozent. Der auf längere Sicht wesentlich deutlichere Rückgang vor allem bei der Hauptbeute der Wölfe, den Hirschen, sei auf eine veränderte Jagdpolitik im benachbarten Kanton Graubünden zurückzuführen. «Und die Hirsche reagieren natürlich auch auf den Wolf. So haben wir im weiter westlich liegenden Weisstannental etwas mehr Hirsche als vor Ankunft der Wölfe.» Die Fleischmengen, die ein Wolfsrudel fürs Überleben benötigt, haben es aber schon in sich. Eine Hochrechnung – Wölfe benötigen täglich um die vier Kilogramm Fleisch – auf das aktuell zehnköpfige Rudel ergibt einen Bedarf von rund 300 Schalenwildtieren. Im Taminatal sind das Rothirsche, Rehe, Gämsen und Steinböcke, wobei die Wölfe es vor allem auf die Hirsche abgesehen haben. Gämsen und Steinböcken vermögen sie nur begrenzt zu folgen, wenn sie sich ins felsige Gelände flüchten, und Rehe kommen nur vereinzelt vor. Die Schalenwildbestände schätzt Wildhaber im Revier des Calanda-Rudels auf über 2000 Tiere. Für den Wald in der Region, dessen Baumnachwuchs stark unter Wildverbiss leidet, tun die Wölfe Gutes, wenn sie die Wildbestände reduzieren, wie das Amt für Naturgefahren des benachbarten Kantons Graubünden festhält. In den Berggebieten schützen etwa zwei Drittel der Wälder Siedlungen und Verkehrsweg vor Steinschlag, Muren und Lawinen, in vielen Gebieten herrschten Zustände, die langfristig nicht mehr tolerierbar seien. Rund ein Fünftel der Schutzwälder haben wegen des Verbisses am Baumnachwuchs Probleme, sich zu verjüngen.


Rolf Wildhaber weiss genau Bescheid über die Wölfe im Taminatal.

«Es war eine Freude, die Wölfe zu sehen.»
Und die Jäger? «Es war an einem schönen Wintertag. Ich hatte gerade den Fenstervorhang auf meiner Hütte im hinteren Taminatal zur Seite geschoben, als ich einen Wolf erblickte. Was für ein schönes Tier, dachte ich mir. Da kamen aus dem Wald noch drei weitere Wölfe dazu. Sie waren alle ganz aufgeregt, offensichtlich im Jagdfieber. Schliesslich stoben sie die Wiese hinunter und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Ich fühlte mich zu keinem Augenblick bedroht, im Gegenteil. Es war eine Freude, diese Wölfe zu sehen. Und doch ist es mir nicht wohl, sie so nah an menschlichen Siedlungen zu wissen. Wölfe gehören in die Wildnis. Aber nicht in ein bewohntes Tal. Hier haben sie schlicht zu wenig Platz.» Oswald Sprecher, der so von den «Calanda-Wölfen» zu schwärmen weiss und sie doch nicht in seiner Nähe haben will, ist Jäger aus Passion. In einer umgebauten Scheune präsentiert er seine Trophäensammlung mit Wild aus aller Welt. Wölfe habe er auf seinen Jagdreisen in Osteuropa und der Mongolei gesehen. «Dort haben sie im dünn besiedelten Gebiet genug Platz. Aber die Menschen wollen sie loshaben. Hier müssen wir mit ihnen leben.» Er respektiere und achte die geltenden Regeln, betont Sprecher. «Aber als Jäger fällt es schon schwer, die Wölfe als Beute-Konkurrenten zu akzeptieren.» Ihm täten die Wölfe aber auch leid. «Sie haben hier kein artgerechtes Leben.» Diese Meinung ist öfters im Taminatal zu hören. Auch Susi Blöchlinger, die mit ihrem Mann in St. Margrethenberg einen Bauernhof und das «Buure-Beizli» bewirtschaftet, sähe die Wölfe lieber im tiefen Wald eines fernen Landes. Eine Zwergziege sei am hellichten Tag von einem Wolf gerissen worden, durch das Hofgatter habe er die Geiss gezerrrt und einen Steinwurf weiter weg teilweise verzehrt. Um den Hühnerstall sei einer geschlichen, als sie diese füttern wollte, und ihr Mann habe einen Wolf mit dem Stecken verjagt. «Das geschieht alles vor unserer Haustüre. Es ist wie mit dem Fluglärm. Die, die ihn verursachen, kümmert das nicht – bis sie selbst davon betroffen sind. Es gibt hier in der Nähe eine Höhle. Da bin ich schon als Kind gerne herumgestreift. Meinen Kindern erlaube ich das nicht mehr.» Sie wünsche sich, dass zumindest jene Wölfe, die den Menschen zu nahe kommen, abgeschossen werden. Tatsächlich haben sich in diesem Sommer Wölfe häufig in den Wäldern rund um den schmucken Weiler aufgehalten. Wildhüter Rolf Wildhaber weiss genau Bescheid über den Aufenthaltsorts des Wolfsrudels – das notabene nicht immer im geschlossenen Verband unterwegs ist. Die Informationen liefern mehrere Fotofallen, dazu eigene Sichtungen und die Meldungen aus der Bevölkerung. Darunter finden sich manche Filme, die mit dem Smartphone aufgenommen werden. Eine Pilzsammlerin schreckte in einem Wald bei St. Margrethenberg einen schlafenden Wolf auf. Der habe für einige Sekunden ihren Blick fixiert und sei dann davongetrottet, hat sie Wildhüter Rolf Wildhaber berichtet. «Wirklich gefährlich war das nicht, auch der Wolf war wohl so erschrocken wie die Frau. Sie wird den Wald in Zukunft trotzdem meiden». Er habe schon einige ähnliche Begegnungen gehabt. «Die Wölfe rennen nicht einfach weg. Sie bleiben für ein paar Sekunden stehen, vielleicht einfach, um zu sehen, was passiert. Dann trollen sie sich. Deshalb ist es so einfach, ein Photo zu schiessen oder ein Video zu drehen. Man hat Zeit, und man hat nichts zu befürchten». Der Mensch sei für die Wölfe im Taminatal weder Gefahr noch potenzielle Beute. «Sie haben bislang keinerlei negative Erfahrungen mit Menschen gemacht. Für sie sind wir einfach Teil ihres Lebensraumes.» Menschen sind bislang keine zu Schaden gekommen. Ausschliessen kann Wildhüter Rolf Wildhaber dies aber nicht. Das Schreckensszenario wäre ein verletzter Wolf, dem jemand, vielleicht in der Absicht zu helfen, zu nahe kommt. «Der Wolf wird sich angegriffen fühlen. Das kann tödlich enden.» Denkbar wäre auch eine Infektion mit der Tollwut – die Schweiz gilt seit 1998 als frei von Tollwut - oder der Staupe, die in der Ostschweiz letztmals 2009 verheerend unter der Fuchspopulation gewütet hat. Das Verhalten erkrankter Tiere ist unberechenbar.

Wolf aus dem Fenster heraus fotografiert
Auch im Dorf Vättis wird von Wolfssichtungen berichtet. Einer Frau gelang aus dem Fenster heraus eine Aufnahme des ganzen Rudels, das sich im Winter 2013 am Dorfrand im Gänsemarsch am Waldrand bewegte. Das Bild ging um die Welt. In eine Fotofalle an einer Weggabelung unweit des Dorfzentrums tappen wöchentlich ein bis zwei Wölfe – nirgends in der Schweiz wird eine so hohe Wolfdichte registriert. Sonja Sprecher, Wirtin im Hotel – Restaurant Tamina, hat einen Wolf auf dem Platz vor dem Gebäude gesehen. «Das ist nicht gerade das, was man sich wünscht. Anderseits habe ich mich auch gefreut, einen Wolf so nahe gesehen zu haben.» Die grundsätzliche Opposition gegen den Wolf, wie es sie in den ersten Jahren seines Auftauchens gegeben habe, sei heute weitgehend verstummt. «Wir haben den Wolf akzeptiert, und wir haben gelernt, mit ihm zu leben. Wir würden uns wünschen, dass auch die Medien das tun.» Vieles sei in der Berichterstattung verzerrt dargestellt, aus dem Zusammenhang gerissen oder dramatisiert worden. So will sich heute kaum jemand exponieren, die meisten winken ab. Eine Reporterin des Schweizer Fernsehens sei in ihrem Restaurant auf eine Mauer des Schweigens gestossen. «Niemand wollte mir ihr reden. Nicht, weil es nichts zu sagen gab, sondern, weil es nicht gehört werden würde.» So flackert immer mal wieder ein medialer Blitz auf, etwa, wenn ein Bauer behauptet, einige seiner Schafe seien von Wölfen gerissen worden. Die DNA-Analyse sollte Wochen später zeigen, dass es seine eigenen Hunde gewesen waren. Niemand berichtete.

Geld gegen DNA-Nachweis
Rolf Wildhabers’s Mobiltelefon klingelt. Ein Landwirt meldet einen Wolfsriss an einem Schaf. «Haben Sie das gerissene Tief angefasst?», fragt Wildhaber. Der Mann ist sich nicht mehr ganz sicher. «Lassen sie es bitte ruhig liegen und berühren sie es vor allem am Kopf nicht, an der Stelle, an der der Wolf zugebissen hat. Mein Kollege wird sich darum kümmern und eine DNA-Probe nehmen.» Wölfe töten mit unglaublicher Kraft durch einen Biss in den Nacken oder an der Kehle. Auch grössere Tiere haben dem wenig entgegenzusetzen, ebenso Hunde und Menschen. Die Beute fressen sie in der Regel nicht auf einmal. Sie verstecken sie dabei aber nicht wie etwa der Luchs. DNA-Proben sind seit Jahren Standard, wenn grosse Beutegreifer wie Wolf, Luchs oder Bär zuschlagen. Das dient zum einen der Forschung, zum andern der Klärung der Frage, ob es tatsächlich ein Raubtier warm und, wenn ja, um welches Individuum es sich handelt. Treibt dieses es zu bunt – die Kriterien sind im Konzept «Wolf Schweiz» bis ins Detail geregelt - , darf es abgeschossen werden. Beim Calanda-Wolf wurden bisher zwei solcher befristet gültige Ausnahmebewilligungen erteilt. In beiden Fällen entkamen die Wölfe, was, je nach Standpunkt der Kritiker zum Wolf, entweder auf die viel zu eng gefassten Bedingungen oder auf mangelnden Willen der Schützen zurückzuführen gewesen sein soll. Tatsächlich wäre in einem Fall ein Abschuss nur zulässig gewesen, wenn der Wolf sich im Rudel in Dorfnähe gezeigt hätte. Damit hätte dem ganzen Rudel ein Zeichen gesetzt werden sollen, dass eine Annäherung an Siedlungsgebiete tödlich enden kann. Der betreffende junge Wolf, der sich zuvor erdreistet hatte, in einem weiten Umkreis in Ställe einzudringen, verschwand kurz darauf und ist nie wieder aufgetaucht. Die Vermutung liegt nahe, dass er gewildert wurde. Nicht auszuschliessen ist, dass andere Wölfe seinem Beispiel –der Wolf übersprang Zäune und Gatter – folgen könnten. Vor allem junge Wölfe probieren auf ihren Streifzügen einiges aus, sie lernen aber auch voneinander – und gehen dabei beträchtliche Risiken ein. Von den 22 Jungwölfen, die in den Jahren 2012 bis 2016 das Licht der Welt im Taminatal erblickt haben, leben nur noch wenige. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Und auch jene, die überlebt haben, sind nur in Ausnahmefällen zurückgekehrt. Manche leben über Jahre unbehelligt und unbeschoren in der Einsamkeit.

bruno alp zanai
Bruno Zähner, Schafbauer, auf der Alp Zanai, schützt seine Tiere mit Herdenschutzhunden

Herdenschutz gutes Rezept gegen Wolf
Die Schäden an Nutz- und Haustieren haben sich im Taminatal bislang in Grenzen gehalten. Das liegt auch daran, dass man auf den Wolf vorbereitet war und sich rasch an die Umsetzung eines Schutzkonzeptes machte. Dem Beispiel anderer Länder, namentlich Frankreich, folgend, setzte man dabei auf Herdenschutzhunde, deren Haltung mit staatlichen Beiträgen gefördert wird. Auch im Zanaital, das einem wilden Seitental, das sich von Valens aus in westlicher Richtung erstreckt und in einem steilen, halbkreisförmigen Kessel endet. Noch bis in die 1970er-Jahre wurde das Rindvieh hinauf getrieben, seither weiden hier im Sommer nur noch Schafe und Ziegen. Bruno Zähner übernahm die Alp im Jahr 2013. Auf seinem Hof in Illnau-Effretikon hält er 300 Schafe, auf der Alp im Zanaital sind es deren 900 und eine Herde mit 160 Ziegen. Zwei Hirtinnen und Hirten kümmern sich um die Tiere während der Alpzeit von Anfang Juni bis Ende September. Eigentlich sind es drei Alpen: Alp Lasa, Unterzanai und Oberzanai, mit einer Gesamtfläche von 600 Hektaren. Davon ist etwa die Hälfte Weideland. Das Gelände ist an vielen Stellen steil. Nur bis zur Hütte der ersten Alp Lasa auf knapp 2100 Metern führt ein schmaler Weg, offizielle Wanderwege gibt es im ganzen Alpgebiet nicht. Der Zugang zu den beiden anderen Alpen sei nur sehr geübten Berggängerinnen und Berggängern empfohlen. Für die Wölfe sind diese steilen, weglosen Weiden natürlich keinerlei Hindernis. Ihm sei von Anfang klar gewesen, dass er seine Tiere vor Wolfsattacken schützen müsse, sagt Bruno Zähner. Nach vier Jahren zieht er eine positive Bilanz: Kein einziges Schaf und keine Ziege wurden Opfer eines Wolfes, auch wenn sich immer mal wieder einer habe blicken lassen. Sein Konzept baut, neben der Behirtung, auf nächtliches Einzäunen und auf Schutzhunde. Insgesamt sind es sieben, zwei von ihnen kümmern sich um die 250 Schafe auf der Alp Lasa. -Sie arbeiten im Team. Während einer an den Grenzen der Weide patrouilliert – und diese auch auf Hundeart markiert, sitzt der andere mitten zwischen den Schafen auf einem Felsen, um zu beobachten. Sie sind darauf trainiert, bei Attacken von Raubtieren zu kämpfen, beim Menschen sich aber aufs Bellen und Beobachten zu beschränken. Sven Baumgartner von der Anlaufstelle Herdenschutz des Kantons St. Gallen demonstriert bei einem Selbstversuch, wie das geht. Direkt hält er auf ein paar Schafe zu und wird vom Schutzhund mit lautem Kläffen gestellt. Baumgartner geht auf die Knie, um auf Augenhöhe mit dem Tier zu sein und streckt ihm die Handfläche entgegen, um seine friedliche Absicht zu bekunden. Der Hund geht darauf ein und zeigt mit wedelndem Schwanz, dass es in Ordnung ist. Als Frauenfelder weiter geht, bleibt er aber immer in seiner Nähe, bis dieser das Revier wieder verlassen hat. Herdenschutzhunde wachsen unter Schafen auf. Sie beschützen sie instinktiv und riskieren dabei auch ihr Leben. Wildhüter Rolf Wildhaber berichtet von einem nach einer Wolfsattacke übel zugerichteten Schutzhund, der nur knapp überlebt habe. Auf der Alp Zanai geniessen die Nutztiere keinen integralen Schutz. «Dazu bräuchte ich noch ein paar Schutzhunde mehr. Das Gebiet ist einfach zu gross», sagt Zähner. Aber das Risiko nehme er aus Kostengründen in Kauf. Der Mehraufwand mit den Schutzhunden werde zwar mit Beiträgen der öffentlichen Hand teilweise abgegolten, die Kosten etwa für deren Ausbildung gingen aber auf seine Kappe. Insgesamt, sagt Zähner, ende die Alpsaison für ihn mit einer ausgeglichenen finanziellen Rechnung. Das Geld für den Lebensunterhalt verdient er in seinem Talbetrieb in Illnau-Effretikon, wo er während der viermonatigen Alpzeit kein Futter für die Schafe braucht und inzwischen auch grosse Teile des Kraftfutters selbst produziert. Dem Wolf selbst stehe er neutral gegenüber. Ein noch nicht recht gelöstes Problem sei die Haltung der Schutzhunde ausserhalb der Alpzeit. «Sie sind ja darauf trainiert, die Herde zu bewachen. Doch dann gibt es keine Gefahr, und sie sind praktisch arbeitslos. Deshalb brauche es einigen Zeitaufwand, sie zu beschäftigen». Probleme macht auch das laute Gebell der Schutzhunde auf den Winterweiden. Einmal habe er nach telefonischen Beschwerden die Hunde über Nacht aus der Herde genommen. Am nächsten Morgen habe er gerissene Schafe in der Herde gehabt. Die Übeltäter waren streunende Hunde gewesen.
Der Herdenschutz bewähre sich insgesamt gut, sagt Sven Frauenfelder. Aktuell gebe es Wartelisten, nicht alle Herden könnten bewacht werden. Perfekt werde der Schutz aber nie sein. «Risse können wir nicht ausschliessen. Aber sie werden entschädigt, sobald ein Wolfsriss nachweisbar ist.» Ihm bereiten auch Wandererinnen und Wanderer Sorgen, die sich im Alpgebiet abseits der Wanderwege aufhalten. «Unschöne Begegnungen mit den Schutzhunden sind da nicht auszuschliessen, und nicht jeder weiss, wie er sich zu verhalten hat.» So sei es schon zu einigen Bissen gekommen. Auch das Gebell habe schon zu Klagen geführt. Doch hier beisse sich die Katze in den Schwanz. «Es ist schon so: Wer Ja sagt zum Wolf, muss schon auch Ja sagen zu Schutzmassnahmen.»