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Viele Tessiner Alpen werden von schottischen Hochlandrindern beweidet. Das ausgezeichnete Fleisch ist nachhaltig produziert. Kein Quadratmeter Ackerfläche muss für die Futterproduktion geopfert werden. Ein Ex-Politiker macht es möglich und erfindet mit der Kuhaktie ein neues Geschäftsmodell.

Es war kein weinseliger Abend, der den Politiker Guido Leutenegger dazu veranlasste, vor neun Jahren als Stadtrat von Kreuzlingen am Bodensee zurückzutreten. Er mochte seine Arbeit im Departement für Hochbau und Umwelt und fühlte sich auch nicht als Aussteiger, als er bald darauf ins Tessin zog. "Ich entschied mich einfach für die bessere von zwei guten Möglichkeiten", sagt er rückblickend. Diese eröffnete sich ihm mit der Zucht von schottischen Hochlandrindern in Coglio im Valle Maggia. Doch sein neues Leben mit dem sympathischen, zotteligen Vieh kam nicht aus Zufall zustande. Als Jugendlicher beobachtete er Vögel. Der immer knapper werdende Lebensraum, die Zerstörung von Hecken und natürlichen Waldrändern, beschäftigten ihn. Als Student am Lehrerseminar Kreuzlingen begann er, sich mit landschafts- und raumplanerischen Fragen zu beschäftigen. Und dabei kam er auch mit den ersten Wollschweinen und später mit schottischen Hochlandrindern in Berührung. Leutenegger war vor 25 Jahren die treibende Kraft hinter dem Bau einer den Welleschlag abhaltenden künstlichen Insel vor dem Hafen Kreuzlingens, die gleichzeitig als Nistplatz für Wasservögel dienen sollte. Für die Pflege der Insel setze Leutenegger Wollschweine und später Hochlandrinder ein. Die genügsamen, anspruchslosen Tiere, die selbst noch vertrocknetes Gras verwerteten, überzeugten ihn auch mit ihrer Fleischqualität. Er überlegte sich, wo sie sonst noch sinnvoll im Sinne des Naturschutzes einsetzbar wären. Von seiner Beschäftigung mit der Raumplanung her wusste Leutenegger, Luftbilder zu interpretieren. Und im Tessin wurde er fündig, dort, wo viele Alpen zuwachsen.

Unternehmer und Landwirt
Das jahrhundertealte, perfekte Zusammenspiel zwischen dem Menschen, der den Wäldern Flächen entriss, begrünte und beweidete, sowie der Natur, die sich darauf spezialisierte, diese Flächen zu nutzen, funktioniert immer weniger. So manche Schmetterlings- oder Echsenart ist darauf angewiesen, dass auch im Tessin Alpen noch mit Gras bewachsen sind. Die Einheimischen haben keine Lust und sehen keine Verdienstmöglichkeit mehr, um die Alpen zu bewirtschaften - und mit Angestellten wird es zu teuer. Leutenegger schrieb zahlreiche Gemeinden an, und die Hälfte war von der Idee angetan, die Alpen mit Hochlandrindern zu bestossen. Er entschied sich für das Maggiatal. Und so nahm hier ein innovatives, auf Unternehmertum basierendes Landwirtschaftsmodell seinen Anfang. Leutenegger begann mit 20 Rindern auf einer Alp, baute aber seinen Bestand stetig aus. Heute besitzt er etwa 550 Tiere, verteilt auf sieben Alpen und mehrere Talstandorte. Er besitzt nur gepachtetes Land - dies aber in beachtlicher Grösse. 150 Hektaren befinden sich in tiefen, landwirtschaftlich ungenutzten Lagen an den Ufern der Maggia und dienen der Produktion des Winterfutters und als Winterweiden. Hinzu kommen Alpen mit insgesamt 2500 Hektaren. Wie die Tessiner es noch vor hundert Jahren taten, pflegt Leutenegger die Transhumanz. Er geht mit seinen Kühen im April auf etwa 800 bis 1000 Meter und folgt dann dem Bergfrühling immer höher. Erst Anfang Dezember sind die Tiere wieder unten im Tal, wo sie für etwa vier Monate ebenfalls im Freien leben. Einen Stall brauchen schottische Hochlandrinder nicht. Das dicke Fell gibt ihnen immer genügend Wärme. Eine breite tierärztliche Untersuchung zeigte, dass Leuteneggers frei lebende Tiere im Vergleich zu Tieren mit Ställen beispielsweise im sensiblen Bereich der Klauen sehr gesund sind.

Strenger als Biosuisse
Damit die Böden nicht überdüngt werden, wechseln die Tiere ihre Standorte immer wieder. Sie werden mehrfach in ihrem Leben verladen und verlieren so die Scheu vor einem Anhänger. Das kommt Leutenegger zugute, wenn er sie für ihre letzte Fahrt verladen muss. Im Betrieb arbeiten je nach Saison zwischen 13 und 17 Mitarbeiter. Die Alpwirtschaft, aber auch die montäglichen Fahrten nach Cazis oder Flums in den Schlachthof sind organisatorisch aufwändig. Leutenegger leitet seinen Betrieb im Tessin, aber auch seinen zweiten Betrieb in Ermatingen im Kanton Thurgau von Coglio aus, wo auch ein Stall für pflegebedürftige Tiere steht. Hier befindet sich auch der Kühlraum, und von hier wir das Fleisch an die Kundschaft verschickt. Von Anfang an war die Nachfrage nach dem Fleisch der Hochlandrinder gross. Zuerst vertrieb er es unter dem Label von Biosuisse. Doch inzwischen hat er mit Natur Konkret ein eigenes Label kreiert, das strenger ist als jenes von Biosuisse. Zum Beispiel bei den ökologischen Ausgleichsflächen: Während ein Bauer bei Biosuisse sieben Prozent als ökologische Ausgleichsfläche ausscheiden muss, sind es bei Natur Konkret 14 Prozent. 40 Bauern mit weiteren rund 450 Tieren vermarkten inzwischen unter diesem Label ihre Hochlandrinder, so dass Natur Konkret über einen Bestand von 1000 Tieren verfügt.

Trotz strenger ökologischer Auflagen, die er sich und seinen Geschäftspartnern auferlegt, gibt Leutenegger nicht den Weltverbesserer. Man würde es ihm auch nicht glauben. Wenn er sich auf dem I-Phone mit neuen Bestellungen beschäftigt oder auf dem Computer Statistiken durchsieht, erinnert er eher an einen Manager. Doch auch diese Beschreibung wird ihm nicht gerecht. Das wird spätestens klar, wenn man ihn mit einem Lächeln inmitten eines halben Dutzend Rinder sieht. Seinen Augen entgeht nichts. Er beobachtet, wie jedes einzelne Tier seinen Kopf bewegt. Denn vor den schwungvoll gebogenen, spitz verlaufenden Hörnern muss man sich in acht nehmen. "Es hat noch nie eine schwer wiegende Verletzung gegeben", freut er sich. Auch nicht beim Verlad für den letzten Transport. Jede Woche werden zwischen sechs und zehn Tiere in Cazis oder Flums geschlachtet. Dann ist auch eine Mitarbeiterin von Leutenegger dabei und portioniert und verpackt das Fleisch der Vorwoche, das abgehangen ist. "Die ehemalige Charcuterie-Verkäuferin ist unsere beste Qualitätskontrolle", versichert Leutenegger.

Renditeobjekt Mutterkuh
Während der Finanzkrise kam Leutenegger der Gedanke einer aussergewöhnlichen Vermarktungsstrategie: Er präsentierte die Aktie zum Streicheln und Essen. Das brachte ihm bis heute eine grosse Medienpräsenz ein - auch auf den Wirtschaftsseiten. Die Rinderaktie funktioniert so: Mit der einmaligen Zahlung von 2500 Franken bekommt ein Käufer 10 Jahre lang Fleisch im Wert von 350 Franken. Dafür kann er aus dem breiten Angebot bestellen, was er will. Als Sicherheit ist der Käufer Besitzer einer Kuh. Bereits 350 Kunden haben eine Aktie gezeichnet. Viele von ihnen haben eine persönliche Beziehung aufgebaut und ihre Kuh schon besucht. Der Vorteil: "Ich habe so eine langfristige, treue Kundschaft und muss mich nicht täglich mit der Akquisition beschäftigen", erklärt Leutenegger. Dieses System will er nun auf seine Wollschweine ausdehnen. Deren Bestand will er deutlich aufstocken. Das wird die Talkinder freuen, die ihm das Schweinefutter aus den Wäldern bringen. Für ein Kilo Kastanien zahlt ihnen Leutenegger zwei Franken.

www.natur-konkret.ch

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