Das Schweizer Nationalstück „Wilhelm Tell“ wird als Freilichtinszenierung am Konstanzer Münsterplatz gegeben. Im Kampf um die eidgenössische Freiheit rücken für einmal die Frauen stärker in den Vordergrund.

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Hedwig stellt ihrem Wilhelm die zentrale Frage: Wie kannst du deinen eigenen Sohn opfern, um die Schweizer zu befreien?

Ein politisches Stück ist es, klischeehaft, und selten gespielt, aber als Schullektüre weithin bekannt. „Der Starke ist am mächtigsten allein“, murmelt meine ergraute Sitznachbarin den Text mit. „Die Axt im Haus....Früh übt sich...Neues Leben blüht aus den Ruinen.... erklingen wohlvertraute Zitate im Lauf des Abends. Die Regisseurin Johanna Wehner bleibt der Sprache Schillers treu, versetzt sie mit Alltagssprache, ein Bindeglied aus dem Gestern ins Heute.

Ist Gewalt gerechtfertigt?
Für das Face-Lifting hat die Regisseurin auch gekonnt Personal abgebaut und den Protagonisten neue Akzente verpasst. Der Freiheitskämpfer Wilhelm Tell tritt uns in Gestalt eines Johnny Depp entgegen, cool und abenteuerlich, gespielt von Thomas Fritz Jung. Nach seinem Mord an Landvogt Gessler (Ralf Beckord) ist er alles andere als ein Held, sondern ein gebrochener Mann. Und wie steht es sonst mit denn Männern? Da ist etwa der alte Freiherr von Attinghausen (Andreas Haase), in seinen letzten Stunden voll Aufbegehren gegen die Habsburger Tyrannei. Er überwirft sich mit seinem Neffen Ulrich von Rudenz (Julian Härtner), welcher der Macht der Verführung unterliegt und kurzzeitig ins feindliche Lager wechselt. Oder Werner Stauffacher (Jörg Dathe), wankelmütig, ob er zu Gewalt schreiten soll, um die Freiheit zu verteidigen. Die Frage, wann Gewalt gerechtfertigt ist, stellen ausnahmsweise mal die Männer, ein seltener Fall in der Literaturgeschichte. Beantwortet wird sie von den Frauen, „Ohne Waffen geht es nicht“, meint Gertrud Stauffacher (Bettina Riebesel), die ihren Mann regelrecht zum Kampf zwingen muss.
Natalie Hünig trifft als Tells Gattin Hedwig den Kern des Stück. Sie wirft ihm vor, das eigene Kind zu opfern, um die Schweizer zu befreien. Das Edelfräulin Bettina von Bruneck (Laura Lippmann) setzt ihren Verehrer unter Druck, sich zu seinem Volk zu bekennen, andernfalls sei sie fertig mit ihm. Jenseits der grossen politischen Bühne geht es also auch auf der Geschlechterebene um Widerstand. Das ist zeitlos aktuell und nimmt dem Stück sein ungeheures, schwer erträgliches Pathos. Denn freilich sind es die Männer, die vor Kraft strotzend, im Blutrausch, heroisch zu den Waffen greifen, sich in den Kampf stürzen, nach Rache dürsten, um das Vaterland zu befreien.

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Wilhelm Tell und sein Widersacher, der Landvogt Hermann Gessler, der ihn zum Apfelschuss zwingt.

Verloren zwischen Ernst und Komik
Die reduzierte Inszenierung tut dem Stück gut. Statt des Schusses prasseln Äpfel wie eine Lawine vom Münsterdach herunter. Den Kampf gegen die Unterdrücker spürt das Publikum vielmehr, als es ihn sieht - als ein dumpfes, metallenes Schlagen unter den Zuschauerrängen. Das Bühnenbild (Elisabeth Vogetseder) hingegen, ein Gebirge von Bänken, lässt ratlos zurück. Die Kostüme (Uschi Hauk) verwandeln die Figuren ins Groteske, den vergoldeten Gessler-Hut trägt ein silbrig schimmernder Graf-Zeppelin. Die Spieler fallen immer mal wieder aus ihrer Rolle, beziehen das Publikum mit ein. Die Situationskomik erntet Beifall. Und die Stimmung heizte an diesem Abend das drohende Donnergrollen an, eine perfekte Untermalung der Dramaturgie. Und dennoch bleibt ein diffuses Gefühl am Ende, das Komische und das Dramatische rangieren Kopf an Kopf.

 

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noch bis 27.7.2017, Beginn 19 Uhr, Spieldauer 2h30