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Beim weiteren Ausbau der Wasserkraft scheiden sich die Geister. Nach Ansicht von Umweltschutzkreisen nutzt die Schweiz bereits jene Gewässer zur Energiegewinnung, wo dies sinnvoll ist. Der weitere Ausbau würde nicht viel zusätzlichen Strom bringen, aber grosse Schäden in der Natur anrichten.

"Die Umweltverbände sind zu prinzipientreu. Das verhindert manchen sinnvollen Kompromiss. Der Preis dafür ist unter Umständen der Import von billigem Kohlenstrom aus der EU." Roger Pfammatter Geschäftsführer des Schweizer Wasserwirtschaftsverbandes SWV hält mit seiner Kritik an den Umweltverbänden nicht zurück, wenn es um Fragen des weiteren Ausbaus der Wasserkraft geht. In der Energiestrategie 2050 ging die Schweizer Regierung ursprünglich von einem Ausstieg aus der Kernenergie und einem deutlichen Ausbau der Wasserkraft aus – neben der Förderung anderer erneuerbaren Energien. Die Energiestrategie ist praktisch Makulatur. Kernkraftwerke können bis zum St. Nimmerleinstag betrieben werden. Allerdings gibt es einen Hacken. Sie müssen steigende Sicherheitsanforderungen erfüllen. Bereits jetzt können sie mit dem Durchschnittspreis pro Kilowatt auf den europäischen Energiebörsen kaum mehr mithalten. Die Wirtschaftlichkeit ist gefährdet. Und die Rechnung wird zukünftig noch schlechter, weil erneuerbare Energien wie Solar- und Windenergie immer günstiger produziert werden können. Hinzu kommt die Verstromung extrem billiger Kohle aus den USA importierter Kohle, weil dort die Energiegewinnung aus Fracking wiederum die Kohle konkurriert. Demselben Preisdruck ist allerdings auch die Wasserkraft ausgesetzt. Viele Wasserkraftbetreiber sind in finanzieller Bedrängnis. "Und wenn sie immer strengere Umweltauflagen erfüllen müssen, bringt sie das in Existenznot", erklärt Roger Pfammatter. Umweltverbände vertreten die Meinung, dass Wasserkraft jahrelang hochrentabel war und die Energieproduzenten deshalb finanziell genug robust seien, um einige Krisenjahre zu überstehen. Auch wenn Wasserenergie grüne Energie ist, löst sie bei Umweltverbänden zwiespältige Gefühle aus. Es ist eine Frage der Qualität und Quantität. Die Qualität wäre besser, wenn bei jeder Staustufe für Fische die Möglichkeit bestünde, sie zu überwinden. Und die Quantität wäre besser, wenn in jedem Fluss genügend Wasser fliessen würde, damit die Fische wandern könnten. Das Gewässerschutzgesetz formuliert diese Ziele und die Umweltorganisationen setzten sich dafür ein, dass sie auch landesweit erreicht wird. Chancen bestehen vor allem dann, wenn die bestehenden Bauten saniert werden müssen.

Konstruktiver runder Tisch
Viele Produktionsstandorte wurden in den Boomjahren und in Zeiten der Technikeuphorie nach dem zweiten Weltkrieg gebaut. Der Ort Marmorera im Kanton Graubünden wurde beispielsweise geflutet, um dank des Stausee Marmorera und seinem Kraftwerksystem rund 200 Megawatt Strom, also mehr als die halbe Leistung des Kernkraftwerk Mühlebergs nach Zürich liefern zu können. Doch der Fluss Julia alleine würde nicht genügen, um diese Leistung zu produzieren. Dazu muss aus 14 Standorten, verteilt auf fast 170 Quadratkilometern, Wasser hinzu geführt werden. Diese 14 Standorte befinden sich an Flüssen und Bächen, die teilweise vor allem im Winter austrocknen. Diese massive Beeinträchtigung von Lebensräumen ist nicht mehr möglich. Ein Bundesgerichtsurteil vom November 2012 hat an der Moesa im Misox einen richtungsweisenden Entscheid getroffen. Die Pilotsanierung der Misoxer Kraftwerke lehnte das Gericht in der geplanten Form ab. Während die kantonalen Behörden bei der Sanierung der Wasserentnahme von einer marginalen Restwassererhöhung ausgingen, befand das Bundesgericht, eine finanzielle Ertragseinbusse von etwa neun Prozent sei zumutbar, auch wenn dadurch drei bis sechs Prozent mehr Wasser ungenutzt dem Lago Maggiore entgegen fliesst. Auch was die Sanierungskosten betrifft, war das Urteil klar. Der Spielraum muss voll ausgenutzt werden und wenn ein Kraftwerk praktisch abgeschrieben ist, wie das im Misox der Fall war, liegt mehr für die Natur drin.

Das Bundesgericht will, dass die Moesa genügten Wasser führt
Seit diesem Urteil suchte das Amt für Energie und Verkehr in Graubünden den Konsens zwischen den Behörden, Vertretern der Umweltorganisationen und den Strombetreibern. "Wir diskutieren nicht nur an runden Tischen, wir gehen auch gemeinsam an die Orte, die umstritten sind. Dann lassen wir die minimale Wassermenge durch, aber auch jene, die der maximalen Forderung entspricht und schauen konkret am Flussufer, was dies für die Fische bedeutet. Wenn ein Kraftwerk in starker finanzieller Bedrängnis ist, verlangen wir eine Überlebensgarantie für Fischbestände, ist der Spielraum grösser, wollen wir Bedingungen für einen ansprechenden Lebensraum", erklärt Anita Mazzetta, Geschäftsführerin des WWF Graubünden das aktuelle Vorgehen im Ringen um für alle Seiten befriedigende Flusssanierungen. Immerhin wird in Graubünden mit fast acht Milliarden Kilowattstunden rund ein Fünftel der Schweizerischen Wasserkraft produziert. Im Kanton gibt es 35 Konzessionsnehmer. Hinzu kommt eine grosse Anzahl Kleinkraftwerke in den Händen der Gemeinden und 20 neue Kraftwerke die dank kostendeckender Einspeisevergütung subventioniert gebaut wurden. Weitere sind in Planung. Der WWF vertritt am runden Tisch die Umweltorganisationen. Anita Mazzetta lobt ihn als konstruktiv. Das Beispiel Marmorera zeige aber auch, wie schwierig es ist, in Regionen mit hoher Energieproduktion, allen Gewässern gerecht zu werden. "Wenn wir allen 14 Entnahmegewässern ein paar Liter mehr geben, gewinnen wir nichts. Wir konzentrieren uns auf Bäche und Flüsse, an denen wir ökologisch viel gewinnen." Die Entscheidung steht noch aus. Angedacht ist, dass ein Bach auf der Alp Flix wieder seinen ursprünglichen Lauf durch ein Moorgebiet nehmen kann. Und auch der Hauptfluss Julia mit dem wichtigen Nebenfluss Faller sollen mehr Wasser bekommen.

An andern Orten bleibt es wie es ist: trocken. Auch die Stromgewinnung an der Moesa ist von Zuflüssen abhängig. Die Calancasca und Mesolcina mit ihren Nebenflüssen müssen in die Restwasserfrage mit einbezogen werden, denn sie liefern Wasser für die Energieproduktion an der Moesa. Der Talboden des Valle Mesolcina besitzt eine reiche Auenlandschaft, die neu auch revitalisiert wurde. Trotz des eindeutigen Gerichtsurteils ist das Ziel einer erhöhten Restwassermenge im Misox kein Schritt näher gekommen. Der runde Tisch wurde zwischenzeitlich ausgesetzt und andere Projekte vorgezogen, bei denen leichter ein Konsens gefunden werden konnte. Doch im Herbst 2016 ist es soweit. Dann werden die Verhandlungen zwischen Kanton, den Kraftwerken Misox und den Umweltorganisationen neu beginnen. Andernorts ist man weiter. Am Hinterrhein, am Inn im Engadin und bei der Stromgewinnung an der Albula-Landwasser sind die Sanierungen abgeschlossen. Der WWF fokussierte bei den Verhandlungen auf die grösseren, bei denen ökologisch viel gewonnen werden konnte.

Neue Turbine – mehr Energie
Die Auseinandersetzung um mehr Wasser und Fischgängigkeit bei der Sanierung bestehender Kraftwerke ist aber nur ein Teil der Herausforderungen, denen sich die Umweltverbände stellen müssen. Die kostendeckende Einspeisevergütung ermuntert zur Planung von Kleinkraftwerken, die auf dem freien Strommarkt keine Chance hätten. Auch an der Moesa gibt es Pläne in dieser Richtung, was die Verhandlungen erschwert. Die Axpo prüft die Möglichkeit zwei Kleinwasserkraftwerke in Cama und Verdabbio mit einer Leistung von 0,1 MW um den Faktor 20 zu erhöhen und damit 4'500 Haushalte mit Strom zu versorgen. Damit sind die Umweltverbände nicht einverstanden. Die Moesa ist das Fliessgewässer mit der höchsten Artenvielfalt in Graubünden. Der Schaden für wenig Strom wäre riesig. Im Moment ist es um das geplante Kraftwerk ruhig geworden. Roger Pfammatter: "Solange der Strompreis so tief ist, wie im Sommer 2016, investiert niemand in Wasserkraft."
Natürlich sind die tiefen Strompreise nicht im Interesse der Umweltverbände. Sie setzten sich gegen den Import von Billigstrom aus Kohle und gegen Atomstrom ein, damit Strom aus Wasserkraft einen wirtschaftlichen Preis erzielt, auch wenn Umweltanliegen berücksichtigt werden müssen.
Niemand hat bisher ausgerechnet, wie hoch die Saldoleistung der Stromproduktion beispielsweise in Graubünden ist, wenn auf der einen Seite mehr Restwasser fliessen muss, auf der anderen Seite aber neue Energiegewinnungsanlagen hinzukommen, weil eine Einspeisevergütung beantragt wird. Anita Mazzetta, die es grob nachgerechnet hat: "Die bewilligten KEV-Kraftwerke produzieren schon heute weit mehr als der Energieverlust für Restwasser." Zudem können die Betreiber von Grosskraftwerken mit neuen Turbinen weit mehr Strom aus der gleichen Wassermenge gewinnen.
Hinzu kommen Pumpspeicherkraftwerke wie jenes von Linth Limmern. In Zeiten des Energieumbaus fördern sie die Energiesicherheit. Sie sind eine Batterie, die immer dann aufgeladen werden kann, wenn beispielsweise die Sonne in halb Europa von einem wolkenlosen Himmel scheint. Dann pumpt der Betreiber, die Axpo, den überschüssigen Strom aus dem Limmernsee hoch in den 630 Meter höheren Muttsee und lässt das Wasser bei Bedarf wieder über die Turbine fliessen. Das Leistungspotential entspricht mit 1'520 MW jener von vier Kernkraftwerken des Typs Mühleberg oder Beznau.


Der neue Stausee Linth-Limmern dient als Batterie. 

 

 

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