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Die Thur ist eine besondere Wasserperle. Doch die Ansprüche an den Fluss sind vielfältig. Während man im Oberlauf die Wasserkraft nutzen möchte, ergreift man im Unterlauf jede erdenkliche Massnahme, um Hochwasser verhindern. Dagegen setzen sich Umweltschutzorganisationen ein. Das Beispiel zeigt, wie umkämpft Wasserläufe sind.

Zwischen dem mächtigen Tosen, der schäumenden Gischt und der erfrischenden Kühle selbst im Sommer bei den Thurfällen auf der einen Seite und der fast tropisch wirkenden, dichten und von Bibern bewohnten Mündungsspitze am Rhein auf der anderen Seite liegen scheinbar Welten. Verbunden werden sie durch die Thur, deren Wasserband sich über 127 Kilometer in die Länge zieht und von den flachen Zürcher und Thurgauer Ebenen bis ins hügelige Toggenburg reicht. Die Artenvielfalt der Thur ist im landesweiten Vergleich einzigartig. Eine erste Thurerweiterung, die so genannte zweite Thurkorrektion, fand im Gebiet Schäffäuli bei Niederneunforn westlich von Frauenfeld zwischen 1993 und 2002 statt. Die Renaturierung ist abgeschlossen und Anwohner sowie Freizeitaktivisten schätzen das Ergebnis. In ökologischer Hinsicht hat sie aber nicht viel gebracht.
Dass nach der ersten Erweiterung in Niederneunforn die Artenvielfalt der bei den Wasserbewohnern nicht wesentlich zugenommen hat, liegt an der Seltenheit dieser ökologischen Trittseine. Sie müssten viel öfter gebaut werden. Deshalb setzen sich Umweltorganisationen für eine Gesamtplanung ein. Mit kluger Planung sei Sicherheit und Artenvielfalt miteinander vereinbar.

Im Korsett eingezwängt
Das Einzugsgebiet der Thur aber auch seiner wichtigen Zuflüsse Sitter, Urnäsch und Necker ist der Alpstein. Die regenreiche Region macht die Thur zu den Schweizer Flüssen mit dem grössten Schadenspotential. Sie ist wild, schwillt schnell an und kann grosse Flächen überschwemmen. Um das zu verhindern, wurde vor allem im Thurgau höhe Dämme gebaut.
Nachdem die Thur 1977 und 1978 im Thurgau trotzdem starke Überschwemmungen verursachte, reagierte der Kanton ein Jahr später mit dem Thurrichtprojekt. Eine zusätzliche Extremereignisstudie zeigt, was passiert, wenn mehr Wasser kommt, als das zu erwartende "Hundertjährliche", das auch aus der Geschichte bekannt ist. Demnach ist das Schadenspotential gross und die Ortschaften Kradolf, Bürglen, Weinfelden, Müllheim und Teile von Pfyn könnten überflutet werden. Das Schadenspotential beträgt über 700 Millionen Franken. Gemäss Thurrichtplan und der Extremereignisstudie stand vor der Jahrtausendwende fest, dass an der Thur in den Hochwasserschutz investiert werden muss.


Ein Bild, das so nur noch im Friaul zu sehen ist: Die Thur bei Niederbühren um 1920.

Gleichzeitig müssen die Bauvorhaben mit dem neuen Gewässerschutz in Einklang gebracht werden. Doch Hochwasserschutz und Artenvielfalt schliessen sich nicht aus. Im Gegenteil: Nirgends ist die Artenvielfalt grösser als in Übergangszonen zwischen Wasser und Land wie sie in Auenwäldern zu finden ist. Nur muss man dem Fluss Flächen zur Verfügung stellen, die er bei Hochwasser überschwemmen kann.
Wegen des viel zu schmalen Flussbetts mit teilweise abgesenktem Flussgrund ist die Artenvielfalt verarmt. Das gilt nicht für die gesamte Flussstrecke, aber doch für einen beachtlichen Teil. Dabei wäre das Potential gross. Botaniker bezeichnen die Artenvielfalt an der Thur noch immer als grösser im Vergleich mit ähnlichen Gewässern im Wallis. Dort ist das Klima zwar günstiger, aber die Nutzung der Wasserkraft durch Stromproduzenten viel grösser.

Ökologisch nicht viel gebracht
Bereits 2001 verabschiedeten die fünf Thurkantone Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen, Thurgau und Zürich eine Art Charta mit Zielen für den Wasserbau. Denn dass an und in der Thur mit klugen Massnahmen die Artenvielfalt noch deutlich verbessert werden könnte, ohne den Hochwasserschutz zu vernachlässigen, ist schon lange bekannt. Lukas Indermar, Verantwortlicher für Wasserfragen im WWF-Regiobüro St. Gallen sagt über die Renaturierung bei Neunforn: „Aus heutiger Sicht ist die geplante Aufweitung zu wenig breit. Weder Tiere noch Pflanzen haben genügend Lebensraum. Vor allem deshalb nicht, weil dieser ökologische Trittstein isoliert in der Landschaft steht.“ Richtung Westen sind es zur Thurmündung in den Rhein mindestens 20 Kilometer. Noch weiter ist es bis nach Weinfelden und Bürglen, wo nun die nächste Renaturierung erfolgen soll. Aus Sicht der Umweltorganisationen ist die Distanz zwischen den Aufweitungen zu lang und die geplanten baulichen Massnahmen selber völlig ungenügend. Das Problem ist nicht das Geld sondern der Widerstand der Bauern, die dafür Kulturland verlieren würden. Ziel der nun geplanten Bauten ist der bessere Hochwasserschutz von Weinfelden und Bürglen. Neben der Ausweitung des Mittelgerinnes, der Stabilisierung der Sohle und der Verstärkung des Hochwasserdammes scheint der Punkt Aufwertung der vorhandenen flusstypischen Lebensräume unbedeutend.

Keine schlechten Modelle
Für die Umweltverbände geht es um Grundsatzfragen: Die Dämme sind im ganzen Land in die Jahre gekommen. Das Gewässerschutzgesetz sieht nun bei den Dammerneuerungen einen ökologischen Ausgleich vor, ohne dass die Sicherheit leidet. Deshalb wollen sie sich dort wehren, wo Verbesserungen für die Umwelt nur eine Alibifunktion erfüllen. Gleichgültig, ob dies an der Rhone, der Reuss, am Alpenrhein oder der Thur geplant wird: ökologischen Massnahmen bläst ein steifer Wind der widerstandsbereiten Bauernschaft in Gesicht. Selbst wenn das Land – wie im Fall vom Alpenrhein – gar nicht in ihrem Besitz ist. Ausserdem werden Landbesitzer entschädigt. An Geld fehlt es nicht. Die Stromkonsumenten zahlen 0,1 Rappen pro Kilowattstunde in einen Fonds ein und finanzieren damit die Renaturierungen. Die Umweltverbände setzen sich für dynamische Gewässer ein und damit dies möglich ist, braucht ein Fluss alle vier bis sechs Kilometer einen ökologischen Trittstein, also eine Fläche, wo sich die Natur ungestört ausbreiten kann. Die Umweltorganisationen wollen sich jetzt hartnäckig für die bestmögliche Lösung einsetzten, weil Uferverbauungen an den Flüssen nach dem Neubau oder der Sanierung wieder fast hundert Jahre halten werden. Mit anderen Worten: Wenn jetzt der Natur nicht mehr Platz eingeräumt wird, geschieht für Generationen nichts mehr. Und dies, obwohl die Schweiz zu den Ländern der Welt gehört mit dem grössten Artenverlust.

 

 

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