Energie war einer der Schlüsselfaktoren des Aufstieges der Schweiz zu einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt. Das Schmiermittel dazu war nicht Öl, sondern Wasser, dessen Energie die Menschen schon lange nutzen.

 Intakte Mühlräder sind beliebte Wanderziele. Meist gibt es an alten Mühlen ein Gasthaus, das die Geschichte von Jahrhunderten atmet. Die Müller wussten schon im frühen Mittelalter: Wenn der Bach kein Wasser führt, wird die Arbeit hart. Das galt Jahrhunderte später auch für die Unternehmer, die in der Ostschweiz ihre Textilfabriken entlang von Bächen und Flüssen bauten. Bereits 1879 entstand das erste Wasserkraftwerk der Schweiz. Es war gleichzeitig eines der ersten weltweit. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts wurden weltweit immer mehr Wasser für die Stromproduktion genutzt. Zwischen 1950 und 1970 erlebte der Bau von Wasserkraftwerken vor allem in der Schweiz einen regelrechten Boom. Die Täler übergreifenden Anlagen wurden immer ausgeklügelter und die günstige Stromproduktion aus Wasserkraft ein entscheidender Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung. Das flüssige Gold diente allen. Seit der Jahrtausendwende bekommen die drei Energiepfeiler Wasserkraft, Atomkraft und fossile Brennstoffe Konkurrenz: Solarenergie, Windkraft, Gaskraft und viele andere technische Erneuerungen speisen Strom in den inzwischen teilweise liberalisierten Markt. Die Position der traditionellen Energieträger ist schwierig geworden. Der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV) umfasst 220 Zentralen – vom Laufwasserwerk Rheinfelden bis zu Speicherseen in höchsten Gebirgsregionen. 90 Prozent der Stromproduktion stammt allerdings von 14 Prozent der Anlagen. Der Stromanteil aus Wasserkraft beträgt in der Schweiz beachtliche 60 Prozent. Nach 100 Jahren des Aufschwungs befindet sich die Branche seit mehr als zehn Jahren in einer Konsolidierungsphase.

Viele Bergkantone und Berggemeinden sind auf die Konzessionsgelder angewiesen, die ihnen die Stromproduzenten für die Nutzung ihres Wassers bezahlen. Die profitierenden Kantone mit ihrer in früherer Zeit ausgeprägten auf die Eigeninteressen fokussierten politischen Arbeit bekamen deshalb den Beinahmen Alpen-Opec. Bei den Auseinandersetzungen ging es beispielsweise um das sogenannte Restwasser. Es ist kein Ziel an sich, sondern richtet sich nach den Bedürfnissen der Natur. In einem Fluss muss soviel Restwasser durchfliessen, die das Ökosystem benötigt, um intakt zu bleiben. Ob es trotzdem beschädigt ist, einigermassen intakt oder artenreich – diese Interpretation ist oft Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Umweltverbänden und Stromproduzenten, bei denen jedes Prozent Restwasser mehr, einen Einnahmeausfall bedeutet.


In den letzten Jahren stieg die Stromproduktion nicht mehr wesentlich an, die Nachfrage aber auch nicht. Investitionen halten sich zurück. Zu unattraktiv sind die gegenwärtigen Marktpreise. Doch die Branche denkt auch an die mittlere und ferne Zukunft.

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Solange sich die Gletscher zurückziehen, aber noch nicht abgeschmolzen sind, bieten sich der Wasserkraft neue Chancen.

Neue Modelle rechnen im Hochgebirge mit der Entstehung von hundert neuen Seen. Zu verdanken sind sie den abschmelzenden Gletschern, die auf ihrem Rückzug Senken hinterlassen. Sie bilden eine Chance für neue Stromnutzungsquellen. Gleichzeitig werden Extremereignisse und das Verschwinden des gebundenen Wassers im Eis die Produktion unberechenbarer machen. Diese neuen Herausforderungen addiert mit den strengeren Anforderungen an den Umweltschutz bezüglich Restwassermenge bedingen nach Schätzungen des Wasserwirtschaftsverbandes bis 2050 Investitionen in der Höhe von 135 Milliarden Franken. Der gleichzeitige Kontrast zu den sinkenden Einnahmen aus Stromverkäufen und dem hohen Frankenkurs, sowie dem Wasserzins, der Berggemeinden bezahlt werden muss, verleiteten Roger Pfammatter bei einem Referat in Visp im April 2015 zu Skepsis: "Die Situation ist dramatisch. Die Wasserkraft wird zur Verliererin der Energiewende. Sie ist in ihrer Substanz gefährdet. Anstatt vom Ausbau zu träumen, geht es nun darum, den Bestand zu erhalten." Pfammatter fordert langfristig eine konsequente europäische Klimapolitik, die CO-2 belastet, Wasserkraft und Wasserkraft nicht mehr diskriminiert. Gleichzeit wünscht er sich für die Branche eine kurzfristige Entlastung durch eine Abgabenreduktion.

Mauer um die Erde
Die tiefen Strompreise treibt eine Branche in die Krise, die einst zu den Flaggschiffen der Schweizer Wirtschaft gehörte und auch der sich durchaus auch der nationale Stolz nährte, weil sie auf Ingenieursleistungen von weltweiter Bedeutung fussten. Zum Beispiel Grande Dixence.

Der Grande Dixence ist die höchste Gewichtsstaumauer der Welt. Die Betonwand ist 285 Meter hoch und kann es damit beinahe mit dem Eifelturm aufnehmen. Er liegt im Val des Dix, das im oberen Teil des Val d‘Hérémence beginnt. Der Wildbach im Tal heisst Dixence. Einer Legende nach soll der Flurname vom Kampf gegen zehn (dix) Sarazenen stammen. Die rund 700 m lange und 15 Meter breite Mauerkrone auf 2365 Meter über Meer bildet eine riesige Aussichtsterrasse, von der aus der Blick bis ins über 20 Kilometer entfernte Rhonetal reicht. Die Staumauer Grande Dixence ersetzte 1965 die nunmehr überflutete Dixence-Staumauer. Der Bau der neuen Staumauer, die Teil einer grossangelegten, hydroelektrischen Anlage ist, dauerte beinahe 15 Jahre. Während dieser Zeit waren bis zu 3'000 Arbeiter vor allem aus Italien und der Schweiz beschäftigt. Sie verarbeiteten die Baumaterialien vor Ort und benötigten dabei derart viel Beton, dass damit auf dem Äquator eine 10 Zentimeter Breite und ein Meter hohe Mauer um die Erde gezogen werden könnte. Der Stausee ist fast 230 Meter tief und fasst 400 Millionen Kubikmeter Wasser. Er hat ein Einzugsgebiet von 420 km2, das zu zwei Dritteln von Gletschern bedeckt ist. Diese 35 Gletscher speisen mit Hilfe von 80 Wasserfassungen, 5 Pumpwerken und einem 100 km langen Stollennetz den Lac des Dix. Weil das Wasser vieler Gletscher unterhalb der Seehöhe austritt, muss das Wasser hoch gepumpt werden.


Auch heute noch imposant: Die Staumauer des Grande Dixence. 

Kalter Staudamm
Die 2000 Megawatt, die in den vier Kraftwerken erzeugt werden, dienen der Stromversorgung von 17 Kantonen und entsprechen 20 Prozent der speicherbaren Energie der Schweiz. Um die Wasserkraft optimal auszunutzen, wird das Wasser zweimal turbiniert: zunächst auf 1490 m ü.M. im Kraftwerk Fionnay und anschliessend 1'000 Meter weiter unten auf der Höhe der Rhone, im Kraftwerk Nendaz. Innerhalb von 200 Sekunden kann hier die Energieleistung eines Kernkraftwerkes erreicht werden. Dies entspricht dem durchschnittlichen Verbrauch von 400'000 Haushaltungen. Die Besucher können in das mit unzähligen Stollen ausgebaute Innere der Staumauer gehen. Die informative Führung mit einem kleinen Film von der Bauphase dauert eine Stunde. Warme Kleidung sollte dabei sein, denn innerhalb der Gemäuer ist es das ganze Jahr über sechs Grad. Das Val des Dix dient aber nicht nur der Stromerzeugung, es ist auch ein ausgedehntes Naturschutzgebiet. In Zusammenarbeit mit Pro Natura Wallis den Steinbock-Höhenweg geschaffen, einen Naturpfad, auf dem die Tier und Pflanzenwelt des Val des Dix oberhalb der Staumauer der Grande Dixence besichtigt werden kann.


Wandertipp:

Das Innere des Staudamms Grande Dixence kann besichtigt werden. 

 Eine besondere Herausforderung bietet die sechstägige Rundwanderung, die das Vallon de Réchy, das Val d’Hérens, und den Stausee des Grande Dixence umfasst. Die Tour pedestre du Val d`Hérens benötigt etwas Kondition. Am fünften Tag geht es auf gut 3`000 Meter hinauf. Das Gepäck muss allerdings nicht getragen werden, denn im Arrangement ist ein Gepäckdienst zwischen den Herbergen inbegriffen. Vermittlung bei Tourismus Val d´Herens, Euseigne. Tel. 027 281 28 15 oder www.valdherens.ch.

Informationen
Tourismusbüro
Val d'Hérens
Route de la Vallée
1982 Euseigne
Tel. 027 281.28.15

www.valdherens.ch