Im Val Peccia im Kanton Tessin lernen Schüler in der “Scuola di Scultura di Peccia” unweit des einzigen Marmorsteinbruchs der Schweiz den Umgang mit Hammer und Spitzeisen. Der Schulgründer Alex Naef beweist, dass man auch in einer abgelegenen Randregion wirtschaftlich überleben kann.

"Wieso sind Steine so schwer?" ächzt Alex Naef unter der schweren Last. Gemeinsam mit den Schülern eines Weiterbildungskurses seiner "Scuola di Scultura di Peccia" schleppt er auf einer Bahre einen kleinen Marmorblock von der Abraumhalde, als wäre dies eine Prozession. Die Firma Cristallina SA betreibt hier, zuhinderst im Val Peccia, das nördlich ans Maggiatal angrenzt, den einzigen Marmorsteinbruch der Schweiz. Nach einem zwischenzetilichen Aus wird seit drei Jahren wieder abgebaut. In den Felsen des Pizzo Castello sind 12 verschiedene Marmorarten eingelagert. In Blöcken wird er aus dem Felsen geschnitten. Was nicht brauchbar ist, fällt die Halde hinunter, wo Marmorfans eine reiche Auswahl aus Hunderttausenden von Steinen haben. Leicht fällt die Wahl auch einer Berlinerin die Auswahl nicht. Weil sie auch beruflich mit Steinen zu tun hat, ist sie nicht zum ersten Mal an der Schule.


Die Scuola di Scultura di Peccia gibt dem ganzen Vallemaggia wirtschaftliche Impulse und ist ein Beispiel für die Verbindung von Innovation und Tradition im Alpenraum. (Bild: z.Vfg.)

Allerdings sind ihre Ketten einiges leichter als der Block, den sie nun ausgewählt hat, um ihre Aufgabe, die Transformation eines Werkzeuges in eine Form aus Stein zu erfüllen. Nach zwei Stunden sind alle Kursteilnehmer zufrieden. Nun beginnt die eigentliche Arbeit. Sie findet auf dem Schulgelände in Peccia unter freiem Himmel statt - ganz im gleissenden südlichen Licht, das den Marmor “unvergleichlich erstrahlen lässt”, wie sich Schulgründer Alex Naef ausdrückt. Der Toggenburger gründete die Schule bereits vor 25 Jahren. Heute sorgen jährlich 300 Schüler mit durchschnittlich fast zwei Wochen Aufenthaltsdauer auch in den Gaststätten der Umgebung für Umtrieb. Ohne diese Einnahmequelle wäre ihre Existenz in dieser Randregion gefährdet. “ Seit der Marmorsteinbruch 1946 eröffnet wurde, sind immer nur Blöcke abtransportiert worden. Die Schule bringt die grösstmögliche Wertschöpfung an den Ursprungsort des Marmors. Wir verarbeiten ihn hier. Dadurch entfallen auch Transportwege.” Das Konzept von Alex Naef hat Erfolg. Viele Freizeitbildhauer kommen seit Jahren ab dem Frühjahr nach Peccia und arbeiten an ihren Werken. Wie produktiv sie sind, beweisen die Plastiken, welche auf dem Skulpturenweg in Peccia zu sehen sind. Für die Berlinerin sind die Kurse auch eine Reise in die Kindheit. “Ich war damals oft hier und liebe diese Landschaft. Zudem geniesse die Arbeit mit Leuten, die jedes Jahr herkommen. Wir sind fast wie eine Familie.”
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Interview

"Hier kann man sich auf die Arbeit konzentrieren"

Alpenmagazin: Sie haben in Peccia, weit weg von Locarno eine Schule aufgebaut. Haben Sie für den Aufbau der Schule Hilfe erhalten?

Alex Naef: Die Gemeinde unterstützte mich von Anfang an. Zudem erhielt ich später einen finanziellen Zuschuss vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).

Alpenmagazin: Das wirtschaftliche Überleben in dieser Randregion dürfte aber trotzdem schwierig sein.

Alex Naef: Wir bieten neben der Bildhauerei Kurse für Holzbildhauerei, Metallguss und Zeichnen an. Man kann einen einwöchigen Kurs besuchen oder einen 17-teiligen Weiterbildungskurs buchen. Es kommen Anfänger und Fortgeschrittene. Wir sind breit abgestützt.

Alpenmagazin: Nun planen Sie ein neues Projekt.

Alex Naef: Wir wollen hier ein internationales “Centro di Scultura” bauen. In dieses Zentrum wollen wir jährlich professionelle Bildhauer aus sieben verschiedenen Ländern für Arbeitsaufenthalte einladen. Früher gingen die Künstler nach Paris und London. Heute sollen sie hierher kommen. Die Landschaft ist inspirierend, und die Künstler werden nicht abgelenkt.

Alpenmagazin: Das klingt nach Utopie

Alex Naef: Das Centro Internazionale di Scultura ist eines von sechs förderungswürdigen Projekten der “Neuen Regionalpolitik” des Kantons Tessin. Im Moment wird von einem unabhängigen Wirtschaftsbüro eine Machbarkeitsstudie in zwei Etappen erarbeitet. Das ist die Voraussetzung, um das Projekt dem Parlament definitiv zur Abstimmung bringen.

Alpenmagazin: Viele Menschen interessieren sich heute doch mehr Aktionskunst und Multimedia. Ist Steinbildhauerei als Kunstform noch zeitgemäss?

Alex Naef: Sie suchen den schnellen Erfolg. Für die Bildhauerei braucht es Geduld. Aber der Mensch tritt als Schöpfer hervor. Er formt etwas nach seinem Willen. Dieses Erlebnis hinterlässt in der Seele viel tiefere Spuren als die Bedienung eines Computerknopfes. Das merken viele Jugendlichen schnell und werden wieder Materialien bearbeiten.



Alex Naef gefällt es, neben seiner eigenen Arbeit sein Wissen an Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. (Bild: Arnold)

Vallemaggia Pietraviva

Dank Bundeshilfe gibt sich das Maggiatal ein neues Outfit. Mit Vallemaggia Pietraviva unterstreichen die Gemeinden des 6000 Einwohner zählenden Tales n ihre Gemeinsamkeit: Den Stein. In neun Industriebetrieben bearbeiten über 100 Leute vorwiegend Gneis und fräsen ihn zu Platten für Gärten, Tische und Böden. "Pietraviva” ist aber auch eine Botschaft an die Bewohner im Tal. Mit einem Museum, geführten Besuchen in den Industriebetrieben, der Promotion verschiedener Lehrpfade zum Thema Stein, einem didaktischen Weg zum Alpauf- und Abstieg sowie der Integration des geplanten Skulpturenzentrums in Peccia hat Pietraviva auch eine touristische Ausrichtung.