Über Jahrhunderte wurden die Alpen im Bleniotal intensiv bestossen. Jeder Grashalm war wertvoll. Um 1900 begann der allmähliche Übergang zu einer extensiveren Bewirtschaftung. Er hält bis heute an. Betroffen sind auch die Alpen im Greina-Gebiet.

 

Im Jahr 1205 verpflichten sich die Bauern der Gemeinde Semione im Bleniotal zum Unterhalt der Brücke Samino bei Campo Blenio auf Gebiet der Gemeinde Olivone. Sie muss das Gewicht von Zugochsen, Kühen und Pferden tragen können. Die Brücke sichert den Zugang zu den Alpen Berneggio und Camadra. Letztere hat das Patriziat Ghirone dem Patriziat Semione zur Bewirtschaftung verpachtet. Die Pächter sollen selbst besorgt sein für den Brückenunterhalt. Dieses auf der Selbstbestimmung der Bürger (patrizi) beruhende Gemeinwesen regelte die öffentlichen Angelegenheit und die Gerichtsbarkeit im Tal. Die Patriziate entstanden um die erste Jahrtausendwende, als es gelang, sich allmählich aus den Fesseln der kirchlichen und weltlichen Feudalherren zu befreien und eine weitgehende Selbstbestimmung zu behaupten. In die Geschichte eingegangen ist der 1182 beschworene "Eid von Torre", in dem die Blenieser und die Leventiner sich jeglicher äusseren Gerichtsbarkeit verweigerten. Die Patriziate gingen in der modernen Schweiz in die Ortsbürgergemeinden über. Heute sind vieler dieser einstmals stolzen, selbstbewussten Patriziate im Bleniotal überaltert, die Bevölkerung ist stark geschrumpft, und die so enge Bindung an die Land- und Alpwirtschaft wird allmählichen zur fernen Erinnerung.

Die über achthundert Jahre alte, damals nur mündlich geschlossene Vereinbarung zwischen den Patriziaten Ghirone und Semione hat sich dank schriftlich festgehaltener Zeugenaussagen in einem Rechtsstreit erhalten, bei dem es um Nutzungskonflikte um Weiden, Äcker und Alpen im Bleniotal ging. Es ist einer der ersten schriftlichen Belege zur Alpnutzung im Bleniotal überhaupt. Die erhaltenen Akten zeigen eine offenbar schon über Generationen entwickelte Landwirtschaft, in der Besitz und Landnutzung bis ins kleinste Detail geregelt waren. Die Alpen spielten eine zentrale Rolle. Bestossen wurden sie primär mit Kühen, aber auch Schafe, Schweine und Ziegen wurden gesömmert. Manche Voralpen durften erst nach dem ersten Heuschnitt bestossen werden, Pferde und Ochsen hatten auf einigen Alpen ausdrückliches Weideverbot. Es kam auf jeden Grashalm an. Die sich wie ein roter Faden durch das Mittelalter ziehenden Konflikte um die Nutzung des kargen Landes liessen sich letztlich erst lösen, als in einem eigentlichen Wettrennen im Spätmittelalter zunehmend Alpen jenseits der Bergketten auf der unter weniger Bevölkerungsdruck leidenden Bündner- und Urnerseite erworben wurden.


Blickauf Malvaglia, um 1950.

Im Kern hat sich diese Bewirtschaftungsweise bis heute erhalten. So ist die Alpe Camadra nach wie vor im Besitz des Patriziats Ghirone und wird‚ wahrscheinlich seit weit über 1000 Jahren - vom Patriziat Semione bewirtschaftet. Doch die Rahmenbedingungen haben sich seit dem 19. Jahrhundert radikal gewandelt. Von diesem Wandel soll am Beispiel von drei Alpen im Gebiet der Greina-Hochebene die Rede sein: Camadra, Cavallasca und Motterascio ‚Garzotto.

Im Jahre 1895 wurden im Kanton Tessin erstmals Tierzählungen auf den rund 450 Alpen durchgeführt. Neben 16105 Kühen, 6706 Rindern, 603 Kälbern, 168 Stieren wurden auch 7824 Schafe, 33510 Ziegen und 3853 Schweine gealpt. 1909 wurde erneut gezählt, und es zeigte sich ein Rückgang "wie in keinem anderen Alpenkanton", wie es in dem vom Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verband erstellten Alpenkataster des Tessins heisst. 11912 Kühe, 4152 Rinder, 1284 Kälber, 131 Stiere, 5768 Schafe, 29152 Ziegen und 3377 Schweine nehmen sich aus heutiger Sicht nicht als gar so dramatischer Rückgang aus‚ heute werden im Tessin kaum mehr 5000 Kühe auf die Alp geführt, von denen ein Grossteil aus der deutschen Schweiz stammt. Der ganz grosse Aderlass sollte erst noch kommen. Die Zahlen belegen aber einen landwirtschaftlichen Strukturwandel, der seine Wurzeln in der um 1800 einsetzenden Industrialisierung, der allmählichen Aufgabe des Ackerbaus und einem starken Bevölkerungsrückgang hat. 1901 wurden auf den 38 Blenieser Alpen insgesamt noch knapp 400 Arbeitskräfte ‚eine knappe Mehrheit Frauen‚ gezählt. Bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 6500 Personen, Kinder und Alte eingerechnet, ist das eine nach wie vor stattliche Zahl. Ob diese Älplerinnen und Älpler auch ausserhalb des Tales rekrutiert wurden, ist nicht überliefert. Es fehle allenthalben an Alppersonal, heisst es im Alpkataster 1909. Die Hauptschuld dafür trage die "grosse Auswanderungslust der männlichen Jugend". Das war eine die Tatsachen verdrehende Unterstellung. Auswandern war keine Lust, sondern eine Bürde, die Tausende Tessiner vor allem im 19. Jahrhundert auf sich nahmen. Die elenden Lebensbedingungen in vielen Tessiner Bergtälern liessen meistens keine Wahl, und vor allem die Neue Welt in Amerika verhiess ein besseres Leben. Eine Ausnahme machten laut Alpkataster die Marronibrater vorwiegend aus dem Bleniotal, die "als volkstümliche und beliebte Kastanienverkäufer" im Winter in "unseren Städten arbeiteten", im Sommer aber ihren "ländlichen Beschäftigungen" nachgingen -ein schiefes Klischeebild, das sich bis heute erhalten hat. Zu der Zeit waren aus vielen Marronibratern schon längst Industriearbeiter geworden. Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache. Noch um Mitte des 19. Jahrhunderts gingen über 1000 Blenieser einer saisonalen Beschäftigung ausserhalb des Tales nach. Bis zur Jahrhundertwende hatte sich diese Zahl halbiert. In dem halben Jahrhundert zwischen 1850 und 1900 ging die Bevölkerung des Bleniotals von 7687 auf 6363 Einwohner zurück. Am dramatischsten war der Rückgang in Aquila, das 452 seiner einstmals 1171 Bürger verlor. Die Belobigung der Kastanienverkäufer war letztlich ein dem politischen Zweck des Alpwirtschaftlichen Verbandes geschuldetes Wunschdenken: Vom Rathause aus müssten die Alpen verbessert werden, hatte die Parole an der Generalversammlung 1896 gelautet. Sie gilt bis heute.

Ein halbes Jahrhundert später zeigt sich die Landwirtschaft im Bleniotal weiter auf dem Rückzug. Vor allem der Ackerbau ist fast zum Erliegen gekommen. Hatten 1850 noch 24 Mühlen das Mehl gemahlen, waren es hundert Jahre später nur noch deren vier. Die Zeit der weitgehenden Selbstversorgung war vorbei. Der Anteil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft war von 60 auf 44 Prozent gesunken. Viele Kleinstbetriebe hatten aufgegeben. Um 1900 hatte es noch rund 1200 Bauernhöfe mit Flächen von weniger als einer Hektare gegeben. Um 1950 waren es noch knapp 300. Insgesamt hatte sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe auf etwa 1000 halbiert. Gleichzeitig war die Produktion stark intensiviert worden. Die Zahl der Rinder und Kühe pro 100 Einwohner verdreifachte sich in den ersten fünf Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Auf einen Betrieb kamen im Durchschnitt dennoch nur gerade ein halbes Dutzend Rinder und Kühe und ein knappes Dutzend Ziegen‚ zu viel zum Sterben, zu wenig zum Überleben. Der Rückgang traf auch die Alpwirtschaft. Deutlich weniger Tiere wurden gealpt. Um die Effizienz zu steigern, wurde die Zusammenarbeit auf den Alpen verbessert. Die über Jahrhunderte übliche private Alpung durch jeden Familienbetrieb, die zu eigentlichen Sommersiedlungen auf manchen Alpen geführt hatte, wurde mehr und mehr aufgegeben. Die Arbeit wurde nun gemeinschaftlich organisiert und an einzelne Mitglieder der Boggie genannten Genossenschaften oder an angestellte Älplerinnen und Älpler delegiert. Der Personalaufwand war noch immer beträchtlich. Auf den 26 Alpen des oberen Bleniotales, zu denen auch die Alpen Camadra, Motterascio, Garzotto und Cavallasca gehören, arbeiteten 1950 noch 79 Personen. Das war eine Halbierung des Personalbestandes. Der Rückgang setzte sich fort‚ bis heute.


Alp Monti die Compietto im Olivonetal, um 1950.

Alpe Camadra
"Eine recht grosse und gut geeignete Alp" sei die Alp Camadra, heisst es Tessiner Alpkataster von 1976. Sie liegt im Val Camadra, das sich von Campo Blenio bis zum Greinapass erstreckt, auf einer Höhenlage von 1500 -2490 Meter. Die Alp Camadra gehört dem Patriziat Ghirone, ist aber schon seit langer Zeit an das Patriziat Semione verpachtet. 1901 wurde die Alp während 70 Tagen bestossen und von sechs Männern bewirtschaftet. Gealpt wurden 80 Kühe, 70 Rinder, 1 Stier, 85 Geissen, 22 Schweine und zwei Esel. Rund 1,4 Tonnen Magerkäse, 700 Kilo Butter und 450 Kilo Frischkäse wurden damals produziert. Damit gehörte die Alp zu den ertragreichsten im Bleniotal. Die 5950 Franken, die sich damals erwirtschaften liessen, würden heute etwa dem Zehnfachen entsprechen. Der Bau des 1963 fertig gestellten Luzzone -Stausees tangierte auch die Alp Camadra. Die Weiden im Talgrund sind wegen der Abzweigung einiger Quellen weniger fruchtbar. Als Kompensation baute das Kraftwerk eine Erschliessungsstrasse bis Pian Gerrett auf 2000 Metern. Seither ist die Alp Camadra mit geländetauglichen Fahrzeugen erreichbar. Die Eigentümerin der Alp, das Patriziat Semione, hat das vertraglich zugesicherte Recht, ab dem 10. September auch die tiefer gelegenen Weiden bis zum Wintereinbruch mit Schafen zu bestossen.

Bis in die 1950er-Jahre wurde die Alp gemeinschaftlich genutzt, die Bewirtschaftung entsprach im Wesentlichen jener der Zeit um 1900, wenn auch mit etwas weniger Tieren. 1950 etwa wurden noch 74 Kühe, 59 Rinder, 21 Schweine und 80 Ziegen auf die Alp getrieben. Zur Zeit des Kraftwerkbaus wurden Stallungen und Hütten saniert. Seither ist die Alp an einen privaten Nutzer verpachtet und wird ausschliesslich mit Kühen aus dem Tal und seit drei Jahrzehnten auch mit Schafen bestossen. Einerseits hat die Alp die Tradition der Milchkuh-Sömmerung beibehalten, ja sogar leicht ausgebaut, anderseits ist die traditionelle weitere Nutzung mit Sömmerungsrindern, Geissen und Schweinen komplett aufgegeben und durch die wesentlich weniger personalintensive Beweidung mit Schafen ersetzt worden. Diese grasen heute auch auf manchen Weiden, die seinerzeit von den damals wesentlich leichteren und auch im steilen Gelände trittsicheren Kühen genutzt wurden. Die Stallungen für die Kühe sind modern und mit Melkständen ausgestattet. Es wird nur wenig Gülle ausgebracht. Die stellenweise Nutzung von Waldweiden verhindert wirksam eine Wiederbewaldung. Während die Kuhalp eine der selten gewordenen Erfolgsgeschichten schreibt, mit einem weitherum gerühmten AOC-Alpkäse, bereitet die Schafalp, auf der vorwiegend Schafe aus dem Bleniotal gesömmert werden, einige Sorgen. Bis heute steht keine Hütte zur Verfügung. Stattdessen muss ein Wohnwagen mit dem Helikopter angeflogen werden. Der Bau einer Hütte wird mit 300’000 Franken veranschlagt. Das Geld dafür sei schlicht nicht vorhanden, sagt Michele Tognu, Präsident des Patriziats Semione.

Alpe Cavallasca
Die Alp erstreckt sich von 1450 bis auf 2240 Meter im Val Cavallasca, einem Seitental des Val Luzzone. Laut Statistica Generale delle 465 Alpi Ticinesi (1901) muss man sich auf der Alp einen sehr lebhaften Sömmerungsbetrieb vorstellen. Zwei Männer und neun Frauen weilten während der 60 Alptage auf der Alp. Dafür standen nicht weniger als 14 Ställe und Hütten zur Verfügung. Man wirtschaftete wie im Tal getrennt. Die Alp wurde damals mit 62 Kühen, 44 Rindern, 1 Stier, 200 Ziegen, 21 Schweinen und zwei Eseln für Transportzwecke bestossen. Der durchschnittliche Milchertrag pro Kuh und Tag von fünf Litern lässt auf geradezu zierliche, sehr geländegängige Tiere schliessen. Heute sind 30 Liter zur Norm geworden. Der mit Magerkäse, Butter und Ricotta erwirtschaftete Umsatz von 4100 Franken (zu heutigem Wert etwa 400’000 Franken) lässt erahnen, wie wichtig die Alpen damals auch aus ökonomischer Sicht waren. Ein halbes Jahrhundert später wurde die Alp mit deutlich weniger Tieren bestossen. Im Alpsommer 1950 waren es 56 Kühe, 7 Rinder, 14 Schweine und 110 Ziegen.

Die Alp wurde 1953 im Zuge des Stauseebaus im Val Luzzone mit einem neuen Saumpfad erschlossen, Ställe und Alpgebäude mit einem Aufwand von 100’000 Franken saniert. Zwei der alten Hütten blieben in Verwendung. Das Alpgebiet ist seither verkleinert und wird erst ab einer Höhenlage von 1700 Meter genutzt. 1996 sind die Alpgebäude mit einem Aufwand von 270’000 Franken renoviert worden, eine Melkanlage wurde eingebaut und die Alpkäserei technisch auf den neuesten Stand gebracht, mit Gasheizung und moderner Ausrüstung. Der Niedergang der Alpkäserei liess sich damit nur hinauszögern. Es fehlt vor allem an einem befahrbaren Zugang.

Die Bestossung war schon seit Jahrzehnten rückläufig. Der Tessiner Alpkastaster von 1976 vermeldet noch 55 Stösse in 70 Tagen (Anfang Juli bis Mitte September). In den 1990er-Jahren wurde dieser Wert kaum mehr erreicht. Bis vor zwei Jahren lag die Zahl der gealpten Kühe noch bei etwa 30, dazu kamen 200 Ziegen. Es war immer schwieriger geworden, Alpkühe aufzutreiben. Die für viele Alpen zunehmend wichtigeren Wanderer kommen kaum. Der Weg endet auf der Alp, ein Zugang zur Greina-Hochebene ist zwar für geübte Berggänger durchaus machbar, den einst vom geländegängigen Alpvieh genutzten, heute weitgehend verfallenen und nicht markierten Saumpfad nutzen aber nur noch Gämsen.

Seit diesem Jahr ist die Käseproduktion ganz eingestellt, der Alpbetrieb ist auf Mutterkuhhaltung mit 40 Kühen und ihren Kälbern umgestellt worden. Vom einstigen Hochbetrieb ist nicht mehr viel übrig geblieben. Heute arbeiten noch zwei Personen als Pächter auf der Alp. Für das Patriziat Ghirone ist die Bedeutung der Alp, die jährlich einen Pachtzins von 2’800 Franken einbringt, stark zurückgegangen. Die aus den drei Weilern Baselga, Cozzera und Aquilesco bestehende Kommune zählte im 17. Jahrhundert noch knapp 400 Einwohner. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Bevölkerungszahl, bedingt durch die starke Abwanderung, bereits halbiert. 1900 wurden noch 81 Einwohner gezählt. Heute sind es knapp 40 vorwiegend ältere Menschen. Es gibt noch zwei landwirtschaftliche Betriebe. Aldo Giamboni, Präsident des Patriziats, ist bei einer Bank in Bellinzona tätig.

Motterascio -Garzotto
Mit 250 Franken beteiligte sich das Patriziat Aquila 1891 am Bau eines Saumpfades von der Alp Ratüsc hinauf auf die Alp Motterascio. Die Gesamtkosten lagen bei 1000 Franken. Damit wurde der Viehauftrieb auf die 1750 bis 2540 Meter gelegene Alp Motterascio erheblich erleichtert. Heute ist dieser auch von vielen Wanderern genutzte, für einen Bergpfad unüblich breite Weg sichtlich in die Jahre gekommen und muss dringend saniert werden. 1 Million Franken werden dafür veranschlagt. Das Patriziat unter Präsident Alessio Rigozzi, seit vier Jahrzehnten im Amt, kann das Geld alleine nicht aufbringen und sucht dringend nach Sponsoren. So ändern die Zeiten.

Die beiden Alpen Garzotto und Motterascio wurden über Jahrhunderte von verschiedenen Familienbetrieben getrennt bewirtschaftet, die über je ihre eigene Infrastruktur verfügten. Auf der Alp Motterascio arbeiteten laut Tessiner Alpstatistik von 1901 während 80 Alptagen 2 Männer und sieben Frauen. Je 13 Hütten und Ställe standen zur Verfügung. Bestossen wurde die Alp mit 80 Kühen, 80 Rindern, einem Stier, 200 Ziegen, 4 Schafen und 25 Schweinen. 1,4 Tonnen Magerkäse, 300 Kilo Butter und 300 Kilo Ricotta brachten einen Ertrag von 4’100 Franken (entspricht nach heutiger Kaufkraft etwa 400’000 Franken).

In den 1930er-Jahren liess sich der ineffiziente Alpbetrieb mit verschiedenen privaten Alpbewirtschaftern nicht mehr aufrecht erhalten. Auf Initiative des Patriziates wurde eine Boggia (Alpgenossenschaft) gegründet mit einer zentralen Käserei und einem angestellten Hirten. Dennoch waren die Bestossungszahlen deutlich rückläufig. 1950 trieben die Hirten noch 42 Kühe, 57 Rinder, 10 Schweine und 140 Ziegen auf die Alp. Der Bau des Luzzone-Stausees brachte eine Neu-Organisation der Alpen Garzott, Motterascio und der benachbarten Alp Garzora. Die Alpen Motterascio und Garzotto sind seit 1961 zusammen gelegt, die Infrastruktur wurde inklusive Alpkäserei erneuert. 1957 waren die beiden Alpgenossenschaften fusioniert worden, nachdem sechs Jahre eine Lawine einen Teil der Alpgebäude zestört hatte. Im Gebiet der Alp Garzora, die zuvor noch mit 58 Kühen, 50 Rindern, 150 Ziegen und weiterem Kleinvieh bestossen worden war, weiden seit 1964 nur noch Schafe. Ein Teil der Weiden der Alp Garzotto fiel dem Bau des Stausees im Val Luzzone zum Opfer. Die Alp Garzotto wurde nun mit einem reduzierten Viehbestand (50 Milchkühe und 45 Rinder) als Voralp von Ende Juni bis Mitte Juli bestossen, danach sömmerte das Vieh auf der Alp Motterascio bis Ende August, um im September nochmals auf den Weiden der Alp Garzotto zu grasen. Diese Alp ist mit Fahrzeugen erreichbar. Auf die Alp Motterascio führt eine 1961 gebaute und 1995 erneuerte Transportseilbahn.

Heute wird die Alp Motterascio - Garzott mit 50 Kühen und 40 Rindern bestossen. Die Alpgebäude auf der Hochalp Motterascio sind vor wenigen Jahren erneuert worden. Dazu kommt eine behirtete, 1300-köpfige Schafherde mit Schutzhunden, die im Hochsommer auf der Greina weidet. Die Schafe stammen vorwiegend aus dem Bleniotal und der Region Biasca. Die Nutzung ist weit weniger intensiv als vor einem Jahrhundert, die Weiden sind in einem guten Zustand. Die anstehende Erneuerung des Saumpfades hinauf auf die Alp Motterascio könnte auch so etwas wie eine Nagelprobe für die Zukunft der Alp sein. Denn die 1,1 Millionen Franken müssen weitgehend von Sponsoren aufgebracht werden. Es wäre ein Bekenntnis zum Wandertourismus und zur Alpwirtschaft gleichermassen. Weitere Informationen erteilt Alessio Rigozzi, Patriziato generale di Aquila, 6719 Aquila, 079 222 77 49, e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterer Rückgang wahrscheinlich
Insgesamt ist die Bewirtschaftung der Alpen im Bleniotal heute weit weniger intensiv als noch vor einem Jahrhundert, sowohl, was die Personalstärke als auch die Viehzahl anbelangt. Während immer mehr Rindvieh aus der Deutschschweiz gesömmert wird, werden die Schafe nach wie vorwiegend aus der engeren Region auf die Alpen des Greinagebietes getrieben. Der Prozess scheint noch nicht abgeschlossen zu sein. Der in den vergangenen Jahren schweizweit zu beobachtende Abwärtstrend bei der Bestossung der Alpen könnte die auch im Bleniotal zu beobachtende Verbuschung, in den tieferen Lagen teilweise auch Verwaldung, noch verstärken.