Gealpt wird das Vieh im Kanton Graubünden schon seit vielen Jahrhunderten. Die Blütezeit war vom späten Mittelalter bis in die frühe Neuzeit. Heute wandelt sich die Alpwirtschaft - die Senninnen und Sennen sind auch Landschaftsgärtner.

Das abweisende Klima hat die Alpen in der Frühzeit der Besiedlung vor starker Nutzung verschont. Doch bereits zur Bronzezeit lebten in der Gegend Menschen. Davon zeugt die Siedlung Crestaulta in Surim bei Lumbrein. Es war eine inneralpine Sonderkultur, die um 1400 bis 800 vor Christus andauerte. Sie hinterliess eine grosse Zahl von Bronzestücken, Schmuck und Keramik. In der Eisenzeit zwischen 800 vor Christus und Christi Geburt lebten die Rätier und im Tessin die Lepontier, ein keltischer Stamm im Norden. An rätische Siedlungen erinnern Flurnamen wie Lugnez oder Petnaul bei Vrin. Die Lage im Kreuz der Pässe Bernadino, Splügen, Lukmanier und Gotthard war strategisch zwar günstig. Trotzdem bauten die Römer keine weiteren Siedlungen in abgelegenen Gegenden, wenn sie nicht für den Strassenbau wichtig waren. Im Mittelalter wurden die Alpen auch als Rohstoffquelle entdeckt: Gold, Silber und Kristalle, aber auch Holz wurde aus den Bergeregionen ins Tal geschafft. Umgekehrt entdeckten immer mehr Tierhalter die höheren Lagen als Weidegrund, um dem knapper werdenden Talgrund auszuweichen. Damit bekamen sie die Möglichkeit, das Talgras zu scheiden und für den Winter einzulagern. Denn lange Winter bedeuteten Hunger : für Menschen und Tiere.

Ursprünglich, das heisst in den Anfangszeiten der Besiedlung, bewirtschafteten die Dorfbewohner in Graubünden die Alpen gemeinsam. Nach und nach gerieten sie aber unter den Einfluss von Adeligen, 3die auch die Alpen für sich beanspruchten. Sie hatten dafür keine Verwendung und die Bauern durften sie weiterhin nutzen. Nun aber als Lehen und Erblehen. Der Territorialfürst war in der Zeit von Rätia Prima ab 452 nach Christus der Bischof von Chur, das in diesem Jahr erstmals als Bischofsitz erwähnt wurde. Auch das Kloster Disentis bekam den Titel einer Fürstabtei mit Territorialrechten. Noch waren aber in der Zeit des Frühmittelalters und Mittelalters, (ca 500-100 n. Chr.) die nördlichen Alpregionen zwar schwach, aber zunehmend besiedelt. Noch störten die immer wieder durchziehenden Nomaden nicht wirklich. Doch die Bevölkerung nahm zu und die Menschen siedelten in immer höher gelegenen Regionen. In dieser Zeit gab es auch noch Wandersennen. Dies waren verarmte Tierbesitzer ohne Land, die im Winter bei einem Bauern wohnten und Futter kaufen, solange da war. Dann mussten sie weiterziehen. Mit dem Einzug in die Alpen begann der Mensch auch die Kulturlandschaft zu formen: Der Wald wurde gerodet, Weideflächen gewonnen und gepflegt. ( NFP 48 Schlussbericht. S. 20-25. )

Mittelalter und Neuzeit
In den folgenden Jahrhunderte begannen sich die hörigen Bauern von ihren Lehen wieder frei zu kaufen. Zu diesen gehörten auch die Alpen, die sie gemeinsam frei kauften und gemeinsam bewirtschafteten. Diese Alpen waren aber häufig mit Sonderrechten, den so genannten Servituten belegt. Das begann schon damit, dass sich die Feudalherren noch einige Rosinen genehmigten, wenn sie die Bauern in die Freiheit entliessen. Das konnte das Recht auf einen bestimmten Teil der Produktion beinhalten, auf den Dünger, auf einen Teil der Alp, auf Holz, bestimmte Durchgangsrechte, Vor- und Nachweiderechte, die Nutzung des Waldes für die Kohlegewinnung, Jagdrechte, Murmeltiernutzungsrechte und vieles mehr. Von Bedeutung waren auch die Schneefluchtrechte. Sie bedeuteten, dass bei einem Wintereinbruch die Tiere der oberen Weiden das Recht hatten, weiter unten zu weiden. Doch die Ausrufung dieses Rechtes wurde möglichst lange hinausgezögert, weil dessen Ausübung eine hohe Belastung für die unteren Weiden bedeutete. Die Gemeinden organisierten die Bewirtschaftung der Berglagen in Alpkooperationen oder Markgenossenschaftsalpen. Dabei bestossen sie die Alp gemeinsam, aber mit eigenen Tieren die sie gemeinsam hüten. Aber es gab verschiedene Facetten der kollektiven Nutzung der Alpen.

Auch das Recht der Alpnutzung hat sich im Laufe der Jahrhunderte vom Ursprung der Markgenossenschaft verändert. Zuerst hatte in den romanischen Gebieten jeder Tierbesitzer unterschiedslos das gleiche Recht, die Gemeinschaftsalp mit seinen Tieren zu bestossen. Später gewährten die alteingesessenen Familien, die sich : nach heutigem Begriff als Ortsbürger definierten : Zugezogenen dieses Recht nicht mehr. Die Gründung von Genossenschaften schränkte die Nutzung weiter ein. Nun durften nur noch Genossenschafter eine Alp bestossen : auch wenn die manchmal von Nachbardörfern kam. Diese starke Nutzung, sowie die Belastung durch Servituten führte zu Erosionen, Lawinen- und Murgängen und zur Erkenntnis, den Alpboden zu pflegen und eine Art Management einzurühren. Diese Entwicklung setzte in der frühen Neuzeit ein, war jedoch je nach Tal und Nutzung der Alpen unterschiedlich.

Viele Kooperationen beschlossen, dass ein Mitglied nur noch so viele Tiere oben sömmern darf, wie es durch den Winter bringt. Wer hungernde Tiere hatte, musste ätzende Kommentare über sich ergehen lassen. Damit begegneten die Bauern der Überstossung. Die Versuchung zu überstossen war gross, denn im von Graubünden aus gesehen nahe gelegenen Italien lag ein Markt mit grossem Fleischbedarf. Der sogenannte Einschlag, also die Nutzungsbeschränkung ist deshalb aus heutiger Sicht eine beachtliche wirtschaftliche Leistung der Bauern, auch wenn die Einsicht in einen Managementplan : wie man dies heute nennen würde - auf manchen Alpen spät kam. Die amerikanische √ñkonomin Elinor Ostrom hat für ihre Analyse im Umgang mit Gemeinschaftsgütern 2009 den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten. Zu ihren Studienobjekten gehörte die Schweizer Alpwirtschaft, unter anderem der Umgang im Wallis mit der beschränkten Ressource Wasser. Sie fand heraus, dass von einer Gemeinschaft nachhaltiger bewirtschaftet wird, als dies auf mancher Privatalp der Fall ist. Eine wichtige Voraussetzung sind strenge Regeln und deren Durchsetzung. Sie wurden demokratisch eingeführt und jeweils den sich verändernden Gegebenheiten angepasst.

Unfreie Bauern mussten weiterhin den Zins für ihr Lehen in Form von Naturalien (meist Butter und Käse) am Martinitag oder St. Antönitag abgeben. Für freie Bauern war zwar die Lehensabgabe, nicht aber der Zehnte getilgt. Mit der Zeit wurde dafür ein fixer Geldbetrag verhandelt. Diese Belastung sank aber dank der Inflation mit der Zeit.

Im Spätmittelalter, also zwischen dem 12- bis 15. Jahrhunderte, änderte sich die Situation noch einmal. Die von Feudalherren als Innenkolonialisierung unterstützte Walser-Wanderung begann. Selbstverständlich war dies kein humaner Akt, um den Walliser Bevölkerungsdruck zu entschärfen. Es ging für den Bedarfsfall um einen Vorrat an kriegstüchtigen Bauern. Mit den Wallsern kam ein neuer Stil der Alpbewirtschaftung nach Graubünden: Jener der privaten Nutzung. Im Gebiet um das Rheinwaldhorn siedelten die ersten Walser vor rund 700 Jahren.

Während des 16. und 17. Jahrhunderts gingen die meisten Alpen auch im romanischen Teil von den Gemeinden in Genossenschafts- oder Privatbesitz über. Das kam so: Einzelne Mitglieder schlossen sich zusammen und bewirkten bei der Gemeindeversammlung der Verkauf der Alp : oft für ein währschaftes Nachtessen und einer Anzahl Mass Wein. Kurze Zeit darauf wurden sie wieder zurück gekauft, weil die Gemeinden in dieser Zeit stark wuchsen und damit die Notwendigkeit, die Alpen wieder kollektiv zu nutzen.

Alpleben
Die Alpen werden traditionell eher extensiv bewirtschaftet. Eine Alp ist eine in sich geschlossene Betriebseinheit, bei der nicht die Höhe das Problem ist, sondern das Klima. Alpen liegen oft an der oberen Grenze, wo Produktivität gerade noch möglich ist. Die Bevölkerungszunahme im späten Mittelalter und der Neuzeit und die damit verbundene steigende Anzahl von Tieren übte einen steigenden Druck auf den Alpboden aus. Da sich vor allem im romanischen Teil viele Alpen in irgendeiner Form im kollektiven Besitz befanden, definierte die Alpgenossenschaft, welchen Beitrag jeder Nutzer leisten muss. Dazu gehörte auch die Säuberung der Alpen, der Bau von Zäunen, der Kampf gegen Unkraut und Gestrüpp und das Zusammentragen von Steinen und Geröll zu einem Mäuerchen. Die Genossenschaft entschied auch entsprechend dem Wetter, wann die Alpung beginnen darf, wo geweidet wird und wann die Sömmerung beendet wird. Eine gute Alpgenossenschaft investierte auch in die Infrastruktur. Sie baute die Sennerei, Unterkünfte für das Personal, Wege, Zäune, Brücken, Holztröge; sie besorgte das für die Käseherstellung nötige Brennholz und vieles mehr.

Es gab auch Alpen, die von den Gemeinden alle zehn Jahre von neuem verpachtet wurden. Diese Unsicherheit dämpfte die Motivation der Genossenschaften, auf der Alp zu investieren. Weil im romanischen Kulturraum die Bauern im Sommer im Tal gebraucht wurden, stellten sie einen Senn ein. Er war der Chef auf der Alp, doch zum Team gehörte ein Hirte und für beide je ein Helfer. An einem bestimmten Stichtag in der Anfangszeit der Sömmerung melkten Senn und Hirte im Beisein der Genossenschafter die Kühe und die Milchmenge wurde auf die ganze Alpzeit von rund 90 Tagen extrapoliert um den zu erwartenden Ertrag zu schätzen. Diese auf Butter und Käse umgerechnete Menge musste der Senn am Ende der Alpzeit abliefern. Die Bauern waren natürlich daran interessiert, dass am Stichtag eine möglichst hohe Milchleistung erzielt wurde. Nun war es üblich, dass der Senn vor dem Stichtag die Kühe herumhetzte, um die Milchleistung zu senken. Umso schöner war der triumphale Einzug im Dorf, wenn er die Erwartungen übertraf.

Auch die Walser pflegten eine dreistufige Bewirtschaftung ihrer Alpen.
Dabei behielten sie ihren Hang zur Selbständigkeit und Einzelgängerei im Vergleich Gemeinbewirtschaftung der Romanen. Diese reglementierten ihre Dorfordnung bis ins Detail. Die Bewohner des romanischen Sprachraumes bevölkerten traditionell die tieferen Lagen. Sie pflegten Acker- und Fruchtanbau. Wenn die Tiere alpten, nutzten sie die Zeit für Feldarbeit. Das ist auch der Grund, weshalb sie sich genossenschaftlich organisierten und einen Senn anstellten. Die später zugewanderten Wallser wohnten in den noch freien Höhenlagen. Sie lebten ausschliesslich Vieh- und Aufzucht. Dabei besassen sie in der Regel auf drei Höhenstufen land, das freilich durch die Erbteilung zerstückelt wurde. Doch die Gebäude blieben in der Familie und deshalb lohnte sich der Bau auf so einer Privatalp. Freilich gab es auch Gemeindealpen, beispielsweise Schafalpen. Übergaben sie ein Privatgut der Gemeinschaft, versahen sie es mit einer Holztafel. Diese so genannte Tässele, ein geritztes Täfelchen war eine Art Ausweis, das über den Besitzer Auskunft gab. Oft lebte auf den Privatalpen der Opa, der als Senn fungierte. Er musste etwas vom Käsen verstehen, vor allem aber: Andere Arbeiten waren ihm zu viel.

"Er ischt nüd mee, er cha z alp" sagte man in etwa in Vals.
Häufig war Sennarbeit auch Frauenarbeit. Ob sie von den Grosseltern oder der Mutter verrichtet wurde : die Kinder verbrachten den Sommer auf der Alp. Nach dem Melken am Morgen stiegen die Frauen in Vals oft ins Tal ab, kochten für die Männer das Mittagessen, halfen beim heuen und stiegen dann in der Hitze des Spätnachmittags wieder die zwei Stunden zur Alp hoch. Diese Zeit nutzten sie und strickten wandernd. Oben kochten sie dann wieder und versorgten die Kinder.

Auf genossenschaftlichen Alpen der Romanen arbeiteten in der Regel keine Frauen. Kinder gab es trotzdem: sie arbeiteten. Die Hirten hatten meist einen Buben als Gehilfen, selbst in den höchsten Lagen, wo Schafe und Ziegen weideten. Meist war er neben Hüteaufgaben auch verantwortlich für die Verbindung zur Kuhalp. Eine Genossenschaftsalp ist eine Arbeitsgemeinschaft, die sich für einige Zeit zusammenraufen musste. Das dies nicht ohne Reibereien ging, liegt auf der Hand.

Die Milchkühe weideten auf der besten Alp, die meist auch relativ nahe beim Dorf liegt. Dort steht auch die Sennerei, ein Kuhstall, ein Schweinestall und die Unterkunft für das Alppersonal. Die Schweine wurden als Molke-Verwerter gemästet : allerdings erst seit die Labkäseproduktion Einzug gehalten hat. Viele Genossenschaften hielten sich einen Zuchtstier auf der Alp, dem die Kühe zugeführt wurden. Mastochsen wurden selten gezüchtet und wenn man einen hatte, brauchte man ihn im Tal für die Feldarbeit. Die Kälber sind in den unteren Weidegebieten, die Rinder, das so genannte Galtvieh im oberen Teil. Galt sind Tiere, die man nicht melkt, das sind Kälber, Rinder, aber auch trächtige Kühe. Während die Kühe im Stall übernachten, verbringen die Rinder die ganze Zeit im Freien. Es ist üblich, dass in diesen Weidegebieten noch kleine Wäldchen stehen, meistens an der oberen Baumgrenze. Sie bieten den Tieren bei Unwettern Schutz. Manchmal steht auf dieser Alp für den Hirten eine zusätzliche bescheidene Unterkunft. Die Galtviehalpen waren im Gegensatz zu Kuhalpen auch Wildtieren, beispielsweise Bären ausgesetzt. Die höchstgelegenen Weiden wurden aber von Ziegen, Schafe, Pferden und später Fohlen genutzt. Pferde wurden zur Zucht genutzt und spielten früher bei der Alpbewirtschaftung eine durchaus wichtige Rolle, weil ihre Bedeutung, vor allem als Zugtiere noch grösser war. Auf höher gelegenen Alpen war eine Gründüngung verbreitet. Dabei wurden alle zwei Jahr die Mähung liegen gelassen. Während beim Stall auf der Kuhweide der Boden schnell überdüngt war und sich Amoniak liebende Pflanzen, etwa der giftige Eisenhut (diente früher zur Vergiftung von Wildtieren, ist aber in der Homöopathie ein Heilmittel), breit machten, fehlte er in abgelegenen Gebieten. Die Sennen und Hirten warfen den Mist vielerorts in Tobel, anstatt ihn von der Sennerei ausgehend zu verbreiten. Im Oberland, westlich der Greina, aber auch in Vals, war es noch lange Zeit üblich, leichter gebaute Ställe alle paar Jahre zu versetzen. Der Boden konnte sich so von der temporären Übernutzung erholen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm wegen der Industrialisierung die Zahl der bestossenen Alpen ab. Mit der einsetzenden Industrialisierung zogen Arbeitskräfte aus den verarmten Berggebieten fort. Eine Arbeit beim Bau der Passstrassen oder im aufkommenden Tourismus war lukrativer. Zudem lockte eine vermeintlich goldene Zukunft in Amerika oder Russland. Manche Alp in Graubünden drohte zu verlottern.

Einerseits fehlten die Arbeitskräfte, andererseits wurden die Kühe und ihre Milch wegen der Zuwanderung im Tal gebraucht, wo Textilmaschinen standen und Menschen hungerten. Tendenziell wurde dann das Gras in den Alpen geschnitten und ins Tal gebracht. 1815 bracht der Vulkan Tambora in Indonesien. Es war nach Ansicht heutiger Forscher der grösste Vulkanausbruch in den letzten 20'000 Jahren. Die Asche bedeckte den Himmel derart intensiv, dass in Europa der Sommer praktisch ausfiel. Eine unglaubliche Missernte führte zu Hunger und Elend. Die gute Seite dieser Katastrophe war ein Innovationsschub in der Landwirtschaft. Das Wissen über den Feldbau und die Tierhaltung sollte nicht mehr nur den Bauern überlassen werden. Landwirtschaft wurde zum Forschungsgegenstand und die landwirtschaftlichen Schulen und Messen das Ergebnis. Ab 1850 kamen auch die Alpen in den Fokus der Wissenschaft. 1863 wurde der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verband (SAV) zwecks "Hebung der schweizerischen Alpwirtschaft" gegründet. Die Basis bildeten die Alpstatistiken, die ab 1864 erhoben und 1890 verbessert wurden. Die Schweizer Alpstatistik 1892-1912 entwickelte sich während Jahrzehnten zu einem internationalen Standartwerk. Sie diente als Grundlage für Fördermassnamen, etwa durch das Bundesgesetz von 1951 über die Förderung der Landwirtschaft, der Einbezug der Alpgebiete (1957), und die erstmals ausgeschütteten Sömmerungsbeiträge (1980). Seit 2002 können sie an Bedingungen, beispielsweise ökologische Auflagen geknüpft werden. Diese Verbindung geschah schon vor 100 Jahren, als Bergkantone wie Graubünden damit begannen, die Stosszahlen für die Alpen zu definieren. Bei der Festlegung orientierte sich Graubünden an den Erfahrungswerten der Genossenschaften und Kooperationen, denn die Bedingungen sind extrem unterschiedlich und hängen von der Sonneneinstrahlung, der Wasserverfügbarkeit und des durchschnittlichen Klimas ab.

Doch dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Alpen aus Sicht des Alpwirtschaftlichen Vereins uneffizient genutzt wurden. Die Organisation atmete den Geist des jungen Bundesstaates, dessen liberale Gründergeneration das Land modernisieren wollte. Aus heutiger Sicht wirken die Berichterstattungen etwa von H. Strüby etwas belehrend. Jedenfalls schreibt er über Somvix kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert, die Gemeinde verfüge über 13 grosse kommunale Alpen und über ein geringes Interesse für die "Hebung der Alpwirtschaft." Dieser Begriff ist immer wieder zu finden, nicht nur für die Greina-Region findet er Anwendung. Er gilt für ganz Graubünden. Weiter schreibt er, es wäre vom allgemeinen volkswirtschaftlichen Standpunkt aus zu begrüssen, wenn von solchem Überfluss durch Verkauf ein Teil der Alpen in andere Hände käme. Diese regere Tätigkeit würde zu mehr Wohlstand für alle führen. Mit anderen Worten: Die Alpen werden ein Wirtschaftsgut, Kühe werden mit Kennleistungen beschrieben, Effizienz und Management wird gefordert. Es geht nicht mehr darum, die eigene Familie zu ernähren, sondern einen Beitrag zur Volkswirtschaft zu leisten. Mit diesen neuen Anforderungen werden die Bauern nun zunehmend konfrontiert. Sie sollen sich und ihre Lebensweise hinterfragen, obgleich sie wiederum im ganzen Land glorifiziert werden. Die Einführung der Schwing- und √Ñlperfeste sind nur wenige Jahrzehnte alt und dienen der Herausbildung eines Schweizertums. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schickte die landwirtschaftliche Kommission Graubündens Berichterstatter aus, die dann in Wandervorträgen und Büchern ihre Kritik und Forderungen festhielten, wie etwa die Einführung einer Taxe für Sommerweiden, um den Nutzern den Begriff vom Wert dieser Güter beizubringen, den sie gegenwärtig nicht kennen würden, weil die keine Gegenleistung zu tragen haben.

Immerhin wurden in Graubünden 1910 noch 882 Alpen bestossen und die Alpwirtschaft bot Arbeit für 22'000 Arbeitskräfte : dies allerdings nur für die drei Monate der Alpzeit. Dennoch: Die Ernährung auf der Alp war gut, und mancher Bursche nutzte die Gelegenheit, während des Sommers wieder zu Kräften zu kommen, auch wenn der Lohn schlecht war. Ein Senn bekam noch in den 1940er Jahren für die drei Monate Arbeit in verantwortlicher Stellung nur 500 Franken. Dafür musste er nicht nur Käse herstellen, er sollte etwas von Tieren verstehen, Krankheiten erkennen, sie therapieren und deshalb auch verschiedene Kräuter mit medizinischer Wirkung einsetzen können. Von den 822 Alpen waren 572 Gemeindealpen, 151 Genossenschaftsalpen und 77 Privatalpen. 7 waren damals noch im kirchlichen Besitz. Total wurden sie mit 72308 Stössen belegt.


Literatur:

Dr. K. Gutzwiler, Hirtentum und Alpwirtschaft und Handelsverkehr über die Alpen in der Pfahlbauzeit. Buchdruckerei Zimmermann, Waldshut.

Die Vieh- und Weidealpen an de Koblenz/Schweizer Nordampe des Lukmaniers, Verlag Sprecher, Eggerling und Co, Chur.

Strüby, die Alpwirtschaft im Kanton Graubünden, Verlag Vogt und Schild, Solothurn 1909.

Genossenschaften: Gemeinsam erfolgreich, Verlag Seegrund, St. Gallen, 2012.

Weiss: Das Alpwesen Graubündens, 1941. Eugen Rentsch Verlag Zürich.

Die Alpwirtschaft im Kanton Graubünden. Hrsg Schweizerischer alpwirtschaftlicher Verein. H. Strüby, Verlag Vogt und Schild Solothurn, 1909.

Carli Giger : Die Vieh- und Weidealpen an der Nordrampe des Lukmaniers, Verlag Sprecher, Eggerling und Co, Chur

Prof. Heer, Bündner Volksblatt 1846: Alpwirtschaft.

Jubiläumszeitschrift 150 Jahre Alpwirtschaftlicher Verein 2012: Die Alpwirtschaft im Wandel der Zeit